Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
Leipziger Platz dem Bahnhof zuschritt, juchzte ein Straßenjunge, eine richtige Berliner Range, hinter ihm her: »Kick, dat is ooch en Franzos.« Offenbar erachtete der Bengel den unrasierten langen Kinnbart im sonst geschorenen Gesicht für etwas Französisches. Aber Bismarck dachte sich sein Teil über die ausländische Wühlerei und Beteiligung von Franzosen und Polen an dieser Revolte, die sich planmäßig zu einer Revolution auswuchs. Offenbar glaubten die einheimischen und fremdländischen Jakobiner sich schon mitten in der großen Revolution von Paris zu befinden. Nur die Guillotine fehlte noch, das Auftreten gegen die Person des Königs erinnerte aber lebhaft an den barschen Ton wider Louis Capet, die Sprache in den politischen Klubs an die seligen Montagnards. Wie man erst Leichen auf der Bahre und später alle Särge der gefallenen sogenannten Befreier (manche davon konnten nicht mal deutsch reden) am König vor dem Schloßbalkon vorbeitrug und ihn zwang, den Hut zu ziehen, schien ein Vorspiel blutiger Tragödie, dagegen der famose festliche Umzug, wobei man dem unglücklichen Schellenkönig eine schwarzrotgoldene Fahne in die Hand steckte und eine dreifarbige Binde um den Arm band, eine Satirposse. Bismarck zitterte vor Entrüstung, wenn er sich vergegenwärtigte, wie Prinzen, Minister, Generale mit dem dreifarbigen Abzeichen sich um die sogenannte Nationalfahne scharen mußten, die ein Bürger zu Pferde vorantrug. An den Straßenecken stand noch die schwulstige Proklamation angeschlagen, worin der so tief gedemütigte schwache Monarch sich als »Führer der deutschen Nation für die Tage der Gefahr« empfahl und »die alten ehrwürdigen Farben der Nation« annahm, deren Schwarzrotgold doch eigentlich nur in der Phantasie der verflossenen Romantiker und Turner existierte. »Preußen geht fortan in Deutschland auf.« Oho, das verbitten wir uns! dachte der strammeAltpreuße, indem er zu Rauchs Reiterstandbild Friedrichs des Großen aufblickte, an dessen Postament auch so ein Papierfetzen klebte.
    Noch war sein Trotz nicht gebrochen. Als er erneut in Potsdam mit den beiden kommandierenden Generalen die Lage besprach, drängte er auf selbständiges Losschlagen. »Wie sollen wir das anfangen?« rief Prittwitz erregt. Da stellte sich der Zivilist an ein geöffnetes Klavier und klimperte die Noten des Signals: »Das Ganze avancieren!« Der alte Möllendorf brach sofort in Tränen aus und fiel ihm um den Hals. »Wenn Sie uns das besorgen könnten!«
    »Jawoll, dideldum dittera«, parodierte Prittwitz bitter den Sturmmarsch Laufschritt marsch marsch. »Das ist das Rechte. Ich weiß, was Sie meinen, auf Berlin marschieren, es mit Sturm nehmen! Als ob daraus was werden könnte! Der eine rät dies, der andere das, und Herr v. Möllendorf kann nur zur Hälfte auf dem Stuhl sitzen und springt doch auf vor Exstase. Is ja alles Mumpitz, wir dürfen nich!«
    »Was kann Ihnen denn geschehen, wenn Sie's auf eigene Faust tun? Das Vaterland dankt Ihnen und der Monarch schließlich auch.«
    Prittwitz sann nach. »Wenn ich gewiß wüßte, ob Wrangel und Hedemann mitgehen! Zerwürfnis in der Armee wäre das schlimmste, wenn wir es denn schon mit der Insubordination wagen wollen.«
    »Die Gewißheit schaff ich Ihnen, will ermitteln und vermitteln, einen Boten nach Stettin zu Wrangel schicken und selbst in Magdeburg bei Hedemann anfragen.«
    »Gut, gut. Hätt' ich nur damals auf Bodelschwingh nicht gehört, dann säßen wir nicht jetzt in der Patsche.«
    »Was meinen Exzellenz?«
    »Nun, im Vertrauen, es darf nicht herumkommen – nach der Proklamation ›An meine lieben Berliner‹ (der Teufel hole sie!) brach ich gehorsam den Kampf ab, doch blieben Schloßplatz, Zeughaus, Breite Straße, Markgrafenstraße besetzt, alle Zugänge, die aufs Schloß einmünden bis zum Opernplatz. Da kam Bodelschwingh, ob ich nicht den Befehl verstanden hätte: ›Der Schloßplatz muß geräumt werden.‹ ›Was sinnen Sie mir an!‹ rief ich. ›Das hieße den König preisgeben.‹ Aber der Minister blieb dabei: ›Die Proklamation befiehlt, alle öffentlichen Plätze zu räumen. Ist der Schloßplatz dies oder nicht? Noch bin ich Minister und weiß auswendig, was meine Befugnisse sind. Ich ersuche Sie nochmals und fordere, daß Sie vom Schloßplatz abziehen.‹ Ich glaube fast, es war Eifersucht der Zivil- auf die Militärgewalt. Was konnte ich aber anderes machen als gehorchen?«
    »Das will ich Euer Exzellenz sagen«, versetzte Bismarck finster.

Weitere Kostenlose Bücher