Bismarck 01
dem Augenschein nicht verschließen. Weitere Freude erlebte Otto, als plötzlich Motley auftauchte, der auch Berliner Wissenschaft genießen wollte.
»Kayserlingk verzieht nach Hannover, da kommst du zu mir, Kronenstraße 44. Wie geht's King?«
Motleys Gesicht verdüsterte sich. »Mit dem bin ich verfeindet. Ist drüben in England. Mit jedem Paketboot kreuzen sich unsere Wünsche, daß der andere zum Teufel gehe. Er fordert mich auf Doppelbüchse.«
»Herrje, auf einmal? Hast du ihm einen dummen Jungen aufgebrummt?«
»Er will englischer Offizier werden. Ein freier Amerikaner, pfui Teufel! Und Coffin ist übers große Wasser. Deine Wette steht.«
»Ach die! Und Wright auch weg?«
»Scharlach weiß von ihm. Will eine Weltreise machen.«
»Der Glückliche! Und wir schmoren hier im Teekessel, kneipen Familie. Will dich übrigens bei meinen Verwandten einführen.« Diese bestanden aus seiner Tante, verwitweten Generalin v. Kessel, Schwester seiner Mutter, die mit lauter Töchtern gesegnet war, und den gräflichen Bismarck-Bohlens von der anderen Linie. Graf Theodor auf Karlshorst und seine kluge schöne Gemahlin nebst der noch schöneren Tochter hatten für Otto ein allzeit offnes Haus. »Und mein alter Gieseke sitzt als Amtsauditor in Reinhausen, Landdrostei Göttingen, und spielt Boston mit der Amtmännin. Ungeheure Zwerchfellerschütterung schriftlich zu entladen, ward uns reichbegabten Menschen vom Schöpfer nicht vergönnt. Kinder, wie wir versimpeln! Neulich schickt er 'ne tückische Strafpredigt über Schreibfaulheit und ließ mich ein Halbjahr auf den ersten Brief warten. Göttingen hat mich ganz vergessen. Sogar mein Universitätszeugnis mußt' ich mir sauer erpressen, die hiesigen Behörden wollten schon nichts von mir wissen, nur Konnexionen rissen mich raus. Nicht mal meine Säbelklinge bekam ich nachgeschickt, ein Unsriger behielt sie wohl zu gesegnetem Andenken. Sic transit gloria mundi, finis Poloniae! Dem ›dicken Herrn‹ geb' ich nächstens mal schriftlichen Rippenstoß, wenn ich halbbesoffen bin, nie ohne dieses. Dem ›Kaziken‹ werd' ich die Entdeckung Amerikas melden, damit er endlich aus seinem Kater erwacht. Keiner gönnt mir ein Sterbenswörtchen, und ich sitze hier verlassen auf meiner märkischen Sandbank.«
»Sei froh!« brummte Motley. »Was hätt'st du beiläufig angefangen, wenn die Universität dich nicht haben wollte?«
»Na, ich hätte das Portefeuille des Auswärtigen ausgeschlagen und wär' Rekrutenfuchteler geworden. Sodann hätt' ich mir's angelegen sein lassen, durch Kartoffelschnapsbrennen dasWohlsein meiner Bauern zu untergraben. Scharlach und andere Scheusäler würd' ich zur Hetzjagd einladen, damit sie den Hals brechen. Ich selbst würde vor Mastfett platzen und fluchen, daß die Welt und alle umliegenden böhmischen Dörfer zittern. Ja, Donner und Doria, ich gehe in die böhmischen Wälder, und den großen Carlo Moor nehm' ich mir als Muster vor, wenn ich Treiber und Jagdhunde prügele. Denn mein Lebtag will ich mich nicht mit Kleinigkeiten abgeben. Wenn eine sittige Gattin mir die hirschledernen Buchsen ausklopft und mir eine Nase dreht, werd' ich alle Hörner der Christenheit für Jagdtrophäen halten. Uf Ähre, suberber Gaul! streich' ich mir den Bart im ländlichen Kreise meiner Schweine, hochbefriedigt, wenn die Wollhändler mich Herr Baron nennen. Darauf leg' ich Wert, dann verkoof ich 2 Dhaler wohlfeiler, verstandez-vous ?«
Motley ergötzte sich nicht wenig an diesem Erguß satirischer Laune. »Immer der Alte! Car tel est ton plaisir. Doch wie steht's mit dem Jus?«
»Ich kam schon bis zum Obligationenrecht, mit Respekt zu melden«, versicherte Otto feierlich. »Danke der gütigen Nachfrage! Meine Alten verkennen mich und möchten jetzt selber den verlorenen Sohn zum Offizier degradieren. Doch j'y suis, j'y reste . Auch mein Bruder Bernhard sattelte um, der vier Jahre bei den Dragonern war, der büffelt jetzt kolossal und wird bald hin werden. Zwei Referendare in einer Familie ist eine Heimsuchung des grundgütigen Himmels, doch mit Hilfe der heiligen Jungfrau nur Mut, die Sache wird schon schief gehen. Betrachte mich heut abend in charmantem Familienzirkel! Ein Gesichte schneid' ich, sag' ich dir, Salomo is nischt dagegen.«
In der Tat nahm er frommen ästhetischen Tee bei Tante Kessel ein. Kusine Helene, ein begabtes Mädchen, die sich mit Malerei beschäftigte, zog ihn auf; dafür zog Kusine Lienchen Bohlen ihn an, mehr als einem Vetterherzen
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