Bismarck 01
Wollenweste und mit großkarrierten, blaugrauen Beinkleidern, ähnlich den satirischen Zeichnungen zu Dickens' Romanen, dabei aber das üppige Haar herabgekämmt, mit düster leidender Miene wie ein Titelkupfer zu Byrons sämtlichen Werken.
»Frisur à la Melancholie ? Hinreißend!« Helene klatschte in die Hände, der Gesellschaftskreis sparte nicht mit Witzen, die er still und gottergeben hinnahm. »So muß ich dich festhalten für die Ewigkeit. Sitz' ruhig, ich konterfeie dich ab.« Helenes Stift entwarf von ihm eine niedliche Karikatur. Als am anderen Tage die Verlobungskarte von Komtesse Bohlen einlief, die sich dem eleganten Herrn v. Malortie versprach, ging ihr ein Licht auf. Sie lächelte schmerzlich: So 'n bißchen unglückliche Liebe is doch gar zu schön! Die schöne Lina aber lachte den gratulierenden Vetter unbefangen an: »Siehst, Otto, auf andere Leute mach' ich einigen Eindruck, das merke dir, alter Grobian.«
Laß fahren dahin! Doch wer selbst die Angebetete täuschen kann, bringt's noch weit in Verstellungskunst! dachte er bitter. Noch ist nicht Hopfen und Malz verloren zum Diplomaten. –
Der Studiosus Bismarck stand in seinem sechsten Semester. Er hatte das vierte und fünfte auch verbummelt und dem großen Rechtslehrer Savigny keinen Anlaß gegeben, auf ihn mit günstigem Auge zu schauen. Jetzt auf einmal begann er zu büffeln mit einem Eifer und einer Schnelligkeit, die eine wunderbare Fähigkeit zur Konzentration verriet. Er verkehrte oberflächlich mit Kommilitonen oder jungen Offizieren und führte das übliche Lotterleben eines Jünglings von guter Familie, wobei er es zu bedeutender Virtuosität im Gähnen brachte. Einen etwas merkwürdigen Verkehr pflegte er mit einem Studenten hoher Semester, der soeben sein Examen machte. Rudolf Schramm fühlte in sich Seelenverwandtschaft mit St. Just, dem blondlockigen Johannes des bleichen Messias Robespierre, und das dringende Bedürfnis, die Menschheit zu beglücken, womöglich auf gütlichem Wege derGuillotine. Begreiflicherweise nicht offen aus sich herausgehend, ließ er doch Otto gegenüber sich los beim Glase Wein um Mitternacht bei Lutter & Wagener, wo sich damals noch alle Schauspieltragöden und verbummelten Genies herumtrieben und sich die Stammtische von Callot-Hoffmann, später Grabbe und Heine zeigten. Schramm schwelgte in düsteren Winken über eine künftige deutsche Revolution, bis Otto ihn unterbrach: »Liebster, Sie strotzen bis zum Rande von französischen Tiraden, wie ein gewisses wenig wohlriechendes Gefäß von Sevresporzellan. Doch rate ich Ihnen, behutsamer zu sein, Sie können nicht viel Schoppen vertragen. In vino veritas! «
»Vor Spitzeln werde ich mich schon hüten!« brauste jener auf mit giftigem Blick.
»Hoffentlich ist das keine Anzüglichkeit, sonst müßte ich Sie ohrfeigen«, versetzte Otto bedächtig. »Bei mir fällt alles in einen tiefen Brunnen. Aber es gibt Neugierige in öffentlichen Lokalen, die gern zuhorchen.«
»Bah, wegen privater Äußerungen akademischer Natur, politischer Theorien verfolgt man niemand. Die Zeit der Demagogenhetze ist vorbei.«
»Sehr wahr, und das beweist, daß unser verrufener Polizeistaat noch lange nicht mit Spionen des hochseligen Dionys von Syrakus oder gar des seligen Robespierre konkurriert. Sonst ständen Sie längst im schwarzen Buch und ich auch wegen Umgangs mit übel berüchtigten Individuen. Sie machen Ihr Staatsexamen und lernen dabei alle Konventsreden auswendig, aber das würde Ihnen bei unserer erzliberalen Bureaukratie nichts schaden, eher nützen, weil man Sie für einen vielversprechenden Anhänger halten würde, der eine Verfassung wünscht.«
»Sie etwa nicht?« forschte Schramm mit lauerndem Blick.
»O doch! Nur find' ich komisch, wenn man Geschehenes und obendrein bei einem fremden Volke mit ganz anderem Temperament als Rezept für alle Fälle ansieht.«
»Es gibt nur ein Allheilmittel: Blut und Eisen!« deklamierte Schramm mit dumpfer Stimme.
»Zugestanden. Doch wer mit dem Schwert sündigt, wird durchs Schwert umkommen. Fragt sich nur, wer die Eisenpillen schlucken muß. Wie endete denn Ihre berühmte Revolution? Mit der Säbelherrschaft.«
»Wir haben gelernt und werden uns solche Musjös Bonaparte vom Leibe halten.«
»Wie wollen Sie das anfangen, wenn er die Feldherrnuniform am Leibe hat? Bei uns muß alles gesetzmäßig gehen, wir würden sicher beim ersten Stadium stehenbleiben, aus unserer Nationalversammlung erwüchse doch nie ein
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