Bismarck 01
Wageners Kenntnisse oberflächlich, seine Auffassung seicht, nur seine Dreistigkeit tief und gründlich seien, und daß er als parlamentarischer Klopfflechter zwar viel Gewandtheit, aber auch giftige Gehässigkeit zeigte. Das hieß ihm Prinzipientreue, und jeden Widerspruch erstickte er kurzerhand mit einem Phrasenschwall, wonach jeder Andersgläubige einfach als Revolutionär gestäupt werden solle. Ludwig v. Gerlach bewies wenigstens als Appellationsgerichtspräsident strenge Rechtlichkeit und blieb im Privatleben ernst und gewissenhaft. Aber es schien eine geschichtliche Ironie, daß die Junkerfraktion sich ihre zwei eigentlichen Führer aus bürgerlichen Kreisen verschreiben mußte, denn noch mehr als der fingerfertige Literat Wagener gab Professor F.J. Stahl mit seiner etwas schwülstigen, aber geläufigen Beredsamkeit den Ton. Dieser getaufte Jude wollte aus tiefster Überzeugung zum Christentum übergetreten sein. Nur schade, daß er damals erst 17 Jahre zählte, also gewiß keine nötige Reife für Überzeugungen besaß. Nachdem er an verschiedenen Hochschulen hospitierte und dozierte und eine abstruse »Philosophie des Rechts« als eine Art Ausläufer der Romantischen Schule losließ, hatte er vor sieben Jahren in Berlin Fuß gefaßt und seine Sophistik dem unheilbaren König zu Füßen geworfen, der nach jedem Strohhalm griff, um seine königliche Mystik über Wasser zu halten. Stahl brachte es fertig, den blauen Ultras eine gichtbrüchige Metaphysik als Halt unterzuschieben und den Schein einer tieferen Weltanschauung für Legitimismus und Feudalismus herzustellen, wie es früher Josef de Maistre und die hysterische Frau v. Krüdener für die heilige Allianz versuchten. Ein Meister bestechender Rede und stilistischer Schönfärberei, machte er die muffigsten Abgeschmacktheiten mundgerecht und verlieh sich den Nimbus der Kühnheit, indem er zu scharfer Attacke überging, sobald die Liberalen entweder keine Zähne mehr hatten oder schon lange nicht mehr beißen wollten. Sophist vom reinsten Wasser, ließ er dasUnvernünftige als das Vernünftige schillern und schien halb Spinoza, halb Moses, wenn er Deutschland als Hort monarchischer Gesinnung pries, was man durch keine Antastung der gottgewollten moralischen Weltordnung von 35 angestammten Dynastien schmälern dürfe. Preußen sei Vormacht und Sinnbild dieser erhabenen Grundsätze im Verein mit dem wahren Protestantismus wie Kultusminister Raumer und seine Pastorenclique ihm offenbarten. »Und dabei ist er nicht mal Preuße, sondern in München geboren!« lächelte Otto in seinen Schnurrbart. –
Bei den Grafen Stolberg und Krassow und Schwager Oskar, wo die Carlsburger alten Bohlens ein paar Tage logierten, vernahm er Schauerliches über Vetter Fritz Bohlen, den guten, liebenswürdigen Menschen. Graf Solms klagte mit achtungsvollem Bedauern: »Das kommt von der Unverdaulichkeit. Hat Universitätskollege gehört, ehe er zur Armee eintrat, und jetzt hat ihn der Hofdemokrat Oriola in den Klauen.« Der alte Theodor Bohlen rief: »Seine Kameraden sind kühl gegen ihn, wie nicht anders möglich, andere Gutgesinnte auch. Fritz wird nächstens noch zinnoberrot anlaufen.« Die Mutter schwieg.
Ja, freilich, dachte Otto, die hohe Bildung! Umgang mit verdrehten Professoren! Die Frauen sind immer sentimental für die Menschenrechte, mein Muttchen Puttkamer auch. Bei denen überwiegt das Gemüt. Übrigens ist das schön. – Ja, es war schön. Die große Mehrzahl der damaligen Frauen tränte von Liberalismus zum Entsetzen ihrer Männer und Brüder. Nur Mut, die Sache wird schon schief gehen! Es wird eine Zeit kommen, wo die Weiber – nicht »Frauen« – von eklem Byzantinismus triefen und Streberei für das Normalmaß des männlichen Bewerbers halten werden. Alle Männer werden vom Weibe geboren, und wenn die bessere Hälfte, der wahrlich der Menschheit Würde in die Hand gegeben, nichts taugt, da taugen die Männer zehnfach nichts. Und abermals wird eine Zeit kommen, wo die Frauen, von Sklaverei befreit, das Heft in die Hand nehmen und ein neues Geschlecht gebären, das nicht um Windmühlen ficht, »liberal« und »konservativ«, »Republik« und »Monarchie«, sondern um die wahren Realitäten. Otto Bismarck war von seiner Mutter geboren. –
Väterchen Puttkamer schrieb ihm über die hochwichtige Frage, ob Gottberg, Schulte, Sprenger oder der Lauenburger Bonin im Kreis Stolpe Landrat werden sollte. Am besten kein sogenannter Junker! Das sind immer die humansten
Weitere Kostenlose Bücher