Bismarck 01
mit tausend Bedenklichkeiten und Gewissenhaftigkeiten! Die Reddenthins würden immer linkser. Kein Wunder, wenn Gott sie mit Erkrankung Albert Belows straft. An »Gehirnerweichung«, die man ihm mit christlicher Liebe andichtete, schien übrigens kein wahres Wort.
»Aber Alex Below hat sich gut gemausert«, frohlockten Frau Adolfine v. Rohr, geb. Kessel und Frl. Elise v. Lettow, Freundinnen Malles, auf einem Militärkonzert in Tivoli, wohin Otto dieDamen ausführte. »Er ist jetzt ganz tapfer gegen die Demokraten.« Um ihre eigne Bravour zu betätigen, ließ Malvine standhaft das nachfolgende Feuerwerk über sich ergehen, vor dem sie sonst kreischend flüchtete. Und dabei möchte sie durch Demokratenblut waten, lächelte Otto mitleidig vor sich hin. Viele alte Weiber in Männerhosen schreien ja auch nach Blut, nachdem sie vor dem revolutionären Feuerwerk ausrissen.
Seine Frau bepackte ihn mit Kommissionen, worüber er gutmütig räsonierte, aber die Bürde als guter Ehemann streng verlangte; außer für Tüll und Gaze, das könne Julia Behr besorgen. »Wenn du mir nicht mit dem nächsten Brief eine Kommission schickst, liebst du mich nicht mehr.« Mitten in seiner Geschäftshetze hatte er immer Muße, für Hanna in Berlin herumzurennen und ihr lange Briefe zu schreiben.
Er besorgte ihr eine neue Goethe-Ausgabe und schenkte ihr Eichendorff, den er selber noch nie las. Obschon zugänglich für deutsche Minnigsinnigkeit, und die Natur mit Dichteraugen betrachtend, lag sein geistiges Bedürfnis mehr nach der Alpenrichtung. Shakespeare, Goethe und Byron hatte er ins Herz geschlossen. »Der gute Eichendorff lebt ja noch«, klärte ihn seine Schwester auf. »Lebt hier bei seinem Schwiegersohn, Lehrer am Kadettenkorps, und ist selber Regierungsrat, und zwar ein geheimer.«
»Ein Geheimrat, o Jemine! Morgens zur Kanzlei mit Akten, abends auf den Helikon. Ich fand immer, daß die Sinnigen und Überzarten, die Säuseler und Schmachter im Leben die ärgsten Philister sind, ledern wie eine alte Jagdtasche und kalt wie eine Hundeschnauze. Der Mann singt ja recht nett von Dorf und Eichen, doch was durch den deutschen Eichwald bläst, ist nicht eine Hirtenflöte, sondern der Gott, der Eichen wachsen ließ.«
Auf einem Diner der englischen Gesandschaft bemerkte ihm Lord Howard vertraulich: »Unsere Regierung und besonders Ihre Majestät die Königin und Seine Hoheit der Prinzgemahl sind einigermaßen betrübt und betreten über die Anzeichen einer allzu heftigen Reaktion. Das muß zu neuen Übelständen führen, von einem Extrem ins andere.« Otto suchte ihm dies auszureden. Die Kammer sei aus den Ferien viel zahmer und vernünftiger zurückgekehrt, der König werde sich ihr annähern. Doch er dachte, wie ihm den ganzen Morgen ein biederer Landrat v. Kröcher mit Lamentationen die Zeit stahl, daß noch immer nicht der richtige scharfe Wind wehe. Besonders die Justiz müsse schneidiger gehandhabt werden. Wie jämmerlich sei 1849 der Prozeß Waldeck in die Brüche gegangen! Damals trat leider gar nichts zutage, als ein Bubenstück von Regierungsorganen, und den Angeklagten hoben alle Unbefangenen auf den Schild fleckenloser Ehre. Seit aber im vorigen Jahr ein Irrsinniger am König ein Attentat verüben wollte, fürchtete dieser Schwächling überall Gewalttaten gegen seine heilige Person. Sein verdüstertes Gehirn umnebelten nochdunkler die Hochverratsmärchen und erfundenen Anschläge, durch deren Fabrikation die Berliner Polizei unter einem gewissen Hinkeldey unseligen Angedenkens sich reif zeigte, der berühmten vierten Abteilung der Petersburger Geheimpolizei nachzueifern. Russisch war überhaupt Trumpf, und der in seinem Rasen für das, was er »Integrität der Krone« nannte, völlig übergeschnappte Präsident Gerlach rief in einem Parteikonklave im Restaurant Schwarz über den Tisch: »Jeder Königstreue soll unseren herrlichen Zaren Nikolaus wie einen Vater ehren.« Otto wandte sich schweigend ab, eine Zornader schwoll ihm, doch es wäre unklug gewesen, durch Widerspruch eine Spaltung herbeizuführen. Auch die rabulistische Sophistik des glänzenden Redners Stahl, die oft selbst Feinde blendete, ließ ihn allmählich kühl bis ans Herz hinan. »Die kleine, aber mächtige Partei« mußte freilich insofern »mit der Revolution paktieren«, wie der König verschiedene Konservative ausschalt, als sie sich der verhaßten Waffen des Liberalismus, Parlament und Presse, selber geschickt bediente. Selbst Vereinsrecht und
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