Bismarck 01
abends zu tanzen und zu schmausen und dann als Sündenablaß einen Psalm zu lesen? Wir sind doch alle ziemlich naiv mit unserer doppelten Buchführung.
Der alte Lord Westmoreland, der für alles Berlinische schwärmte, versicherte ihn einmal über das andere, er sei ein fideles Haus, und Olympia Usedom, die ewig taktlose, klopfte ihm mit dem Fächer auf die Schulter, als Strohwitwer sei er am nettesten. Doch er war sich bewußt, daß er weder fidel noch nett, sondern innerlich des ganzen Treibens müde sei.
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Die rosige Gräfin Elisabeth Stolberg-Wernigerode, die er Rosa unica taufte, und die von Johanna vergöttert wurde – zum Teil wohl auch, weil sie eine Erlaucht war – klagte ihm, daß sie auf Daguerrotype häßlich wie ein Pavian sei. Dafür führte er den kleinen Pavian Kleist-Retzow bei ihr ein und lobte ihr Ölbild. Ja, natürlich, dachte er, wir bedauern, daß wir uns für große Männer der Vergangenheit auf die Maler verlassen müssen, die doch nicht die absolute Ähnlichkeit herausbringen können. Welcher Irrtum! Den richtigen Ausdruck kann kein starres technisches Typen wiedergeben. Jeder grinst dabei oder schneidet sonst Gesichter, nur der Künstler sieht die Quintessenz eines Gesichts und malt gleichsam die Seele. All diese modernen Fortschritte sind im Grunde Humbug, und die Eisenbahn kommt letzten Endes nur dem Handel zugute. In der Postkutsche fuhr sich's unbequemer, aber poetischer. Man hatte was vom Reisen.
Auf dem letzten Hofball beim König tanzte er und schlief danach sehr gut. Doch sein Tanzen trug ihm Verdruß ein. Ein guter Freund klatschte Johanna, daß er mit Leidenschaft tanze, was zwar gelogen war, aber sie mißstimmte. Und der König, der beobachtend auf der Estrade stand, meinte zu Gerlach: »Da sehen Sie Bismarcken! Der wird noch Prinzessinnenvortänzer! Solche frivolen Jünglinge macht man nicht zu hohen Staatsbeamten.« Und der Prinz von Preußen stimmte zu: »Ganz deiner Meinung. Es widerstrebt mir, ernste Männer in Amt und Würde tanzen zu sehen. Das trifft freilich bei Bismarck nicht zu, aber der Mann hat ein gewisses Prestige und spielt eine politische Rolle. Es verträgt sich nicht mit meiner Anschauung, daß Staatsmänner wie ein Leutnant das Tanzbein schwingen.« Das kam Otto zu Ohren, und er dachte ärgerlich: ganz richtig, Bälle sind ein Sammelort für sinnliche Anziehung der Geschlechter, weiter nichts, und es liegt eine unbeschreibliche Roheit darin, daß die Frauen sich dekolletiert bloßstellen und sich von jedem Tänzer um die Hüfte fassen lassen.
Das sind unsere europäischen Sitten, die ein Orientale für Bordellwirtschaft halten würde. Dabei ist der Skandal noch gar nicht alt, denn erst vor dreißig Jahren eroberte der Wiener Walzer die Salons, vorher regierte das ehrsame Menuett und später die züchtige Polka. Wieder so ein gepriesener Fortschritt, das Moderne ist immer das Gemeine. Aber wenn man diesen öffentlichen Unfug feierlich sanktionierte und als Probe der guten Gesellschaft einführt, dann ist es wiederum Humbug, den gering zu achten, der den Scherz mitmacht. Alles eine große Heuchelei. O Gott, wie sehne ich mich nach Hanna und den Kindern!
Auch ein Vergnügen, mit Vincke, Saucken, Ulrichs und Wenzel, dem Randalmacher, in einer Kommission zu sitzen! Der unglückliche Regierungsvertreter hatte nur an Otto eine Schutzwehr, der forsche Vincke wurde ausfallend bis zum Pöbelhaften und der stramme Ostpreuße v. Saucken rief in seinem singenden Dialekt:»Erbarmen Sie sich! Die Regierung wird immer dümmer.« Die beiden Edelleute ließen sich nicht nehmen, sowenig wie Auerswald und Schwerin, den Bürgerlichen Mut zuzusprechen und beharrten bei ihrem Posten. Ein demokratischer Edelmann hat borstigere Haare auf den Zähnen als langmähnige Professoren. Otto konnte sich heimlicher Anerkennung für diese verruchten Standesgenossen nicht entschlagen. Ob auch in ganz Deutschland die Demokratie am Boden lag, in Preußen behauptete sie immer noch ihre parlamentarische Majoritätsstellung.
»Seien Sie künftig vorsichtiger, lieber Freund!« warnte er ärgerlich den beweglichen und leicht erregbaren Kreuzzeitungsmann Hermann Wagener, der sich einen leidigen Prozeß auf den Hals lud. Die ehrliche Borniertheit des Kleist-Retzow, der in sich einen Pedanten, Egoisten, Tyrannen vereinte und darüber eine Salbe frommer Selbstgerechtigkeit schmierte, nahm er geduldig hin. Aber er wußte sich trotz aller Freundestreue dem Eindruck nicht zu verschließen, daß
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