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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Nach meinem trägen Geschmack wäre solch kleiner Ruheposten auf meine alten Tage!«
    »Mein Gott, Sie werden ja erst 36.«
    »Aber schon so verbraucht! Sie haben keine Ahnung, wie meine Nerven gelitten haben. Ich zöge gern dorthin wegen der guten Luft für Frau und Kinder, doch wie Gott will. Die Preußenpflicht geht vor.«
    »Das wird den Prinzen erst recht erfreuen. Wissen Sie, daß Ihr Freund Kleist-Retzow vielleicht Präsident in Köslin wird?«
    »Das ist ihm zu wünschen.« Wie sagt doch der Berliner? Mit Geduld und Spucke fängt man manche Mucke. Hänschen wird von hoher Beamtenleiter noch mitleidig auf mich stellenlosen armen Schlucker herabschauen. Als er in kirchenpatronatlicher Treue einen Sohn des Pastor Sauer von Koglizow in die Oper mitnahm,wunderte sich dieser über respektvolle Grüße, die sein kirchenfrommer Patron von sehr demokratisch aussehenden Herren empfing. Tatsächlich fügte es sich so, daß die Roten und Republikaner, Klasse Robert Prutz, ihm geradezu schmeichelten, um ihren gemeinsamen Haß gegen die »Gothaer«, die Halben und Lauen, zu betonen. Otto nahm die Dinge fast gemächlich. Masern und Scharlach seiner Kleinen bekümmerten ihn viel mehr als politische Kinderkrankheiten. Er verfiel in jenen Musikrausch, der bei bedeutenden Gehirnen immer eine Abstumpfung und Ruhepause bedeutet. Sein alter Bekannter v. Keudell in Pommern hatte ihn stets durch Meisterschaft im Klavierspiel angezogen. Jetzt tat es ihm eine Gräfin Görz an, geborene Fürstin Wittgenstein, die immer nur für Beethoven in die Tasten griff. Sogar ein Kosakenhetman, den er bei Baron Budberg traf und der wie Puschkin und Lermontoff vom Kaukasus zu berichten wußte, alles blasiert verachtend außer dem großen Zaren Nikolai, gewann ihn durch Klaviervirtuosität, wobei sein Mongolengesicht sich verklärte.
    Er sehnte sich nach tiefer Einsamkeit im sommerlichen Bergtal, den Kopf in Hannas Schoß gelegt, dem Bachgemurmel lauschend, durch Zigarrendampf und grüne Wipfel den Himmel anblickend, von der Liebsten angeblickt. Statt dessen wurde er Tag für Tag wie ein Kreisel herumgejagt, so daß er erst nachts in der Kneipe verpustete und bis 3 Uhr früh beim Biere saß. Kam er nach Hause, Jägerstraße 8, so genoß er das hübsche Bild, wie der graue Hans, im grauen Schafspelz auf dem Sofa angewachsen, feierlich bei flackernder Kerze irgendein Promemoria schrieb. Der kleine Mann nahm es wirklich ernst mit seiner Staatsmannschaft! Indessen waren seine geräucherten Moränen sehr ernst zu nehmen, auch die Spickgänse von zu Hause, der einzige Lichtblick in diesem Jammertal Berlin. »Wir sind Ihnen bitterböse«, begrüßten ihn Schloßhauptmann Sigismund Arnim und zwei Herren v. Massow und Kanitz, die ihn in der verlängerten Dorotheen-Armkleinjüngchenstraße stehen sahen. »Man sieht Sie ja nirgends.« – »Weil man mich zu viel anderswo sieht, in öden Kammerkommissionen.« – »Was betrachten Sie denn so das Haus da?« – »Dort ist arm klein Jüngchen geboren,« lachte er humoristisch. »Neulich besah ich mir auch Wilhelmstraße 139, da war früher Plamann, wo arm klein Jüngchen zur Schule ging. Ach, wie ist das Leben doch nur ein flüchtiger Traum! Der kleine Garten dort war einst meine Welt. Stundenlang hätt' ich dort sitzen und an die Kindheit denken mögen! Die Bäume, diese alten Bekannten, und der Bretterzaun waren Geburtsstätten von Luftschlössern, die lange zerfallen sind. Und jetzt, wo ich hätte weinen können, rief mich mein Hans Kleist-Retzow, die verkörperte Prosa, und jetzt weiß ich ja, was für ein kleiner Fleck der Garten ist, und daß mich Geschäfte zu General Gerlach riefen. O weh, die Jugend, die Kindheit, die Romantik, die Poesie! Alles futsch!« Die drei Herren sahen ihn dumm an, und als er ging, räusperten sie sich und einersagte bedächtig: »Merkwürdig, wie die klügsten Leute manchmal so verschroben sind!«
    Er hatte mit David Hansemann zu verhandeln und fuhr mit ihm, der ihm ein besonderer Greuel war, in einer Droschke, und der rheinische Bankier sagte nachher: »Ein ganz liebenswürdiger Mensch, der böse Bismarck. Das hätt' ich nie geglaubt. Aber doch ein irrender Ritter, und von Geschäften versteht er nichts. Das heißt – die Geschäfte sieht er ganz klar, bemerkenswert klar, aber man fühlt eben, daß er an feudalen Skrupeln leidet und der liberalen Großzügigkeit entbehrt.« Indessen ging Otto zum Abendmahl, was er den Tisch des Herrn nannte, und betete inbrünstig vor Pastor

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