Bismarck 01
den Höfen schmuggelte das Wiener Kabinett stets Kreaturen ein, die von Österreich viel, von Preußen nichts zu erwarten hatten. Außerdem mißtraute jedermann der unklaren, schwankenden Politik des preußischen Königsromantikers. »Unter uns,« bekannte ein neutrales Bundestagsmitglied naiv, »von Österreich hat man Repressalien zu fürchten, Freund und Feind, während Preußen versöhnlich und wohlwollend um jeden Preis sein will.«
»Natürlich,« erwiderte Otto bitter, »die Gegenseitigkeit des Händewaschens beruht auf völliger Skrupellosigkeit, rechtlich und moralisch. Darin ist uns Wien über.«
Es wurde ja unter ihm etwas besser, da er unverzagt drohte: »Jede Frage kann entschieden werden durch Appell an das Schwert. Will der Bundestag seine Funktionen zum Zwang und Druck auf Preußen ausnutzen, so werden wir auf dies letzte Band deutscher Einheit ein Gewicht legen, daß es zerreißt.«
»Entschieden, unser teurer Bismarck macht jeden Leumund zuschanden«, medisierte Prokesch hämisch in einem Schmollwinkel mit dem hessischen Minister Dalwigk auf einer Soiree des preußischen Gesandten. »In Berlin hielt man ihn für gut kaiserlich allezeit, und hier häutete er sich so schwarz-weiß wie ein Zebra. In Berlin galt er als Ultra-Feudaler, und hier findet die liebe Bürgerschaft in ihm einen scharmant Liberalen. Bei Bismarcks gehen Musiker, Maler, Schriftsteller ein und aus wie in einem Taubenschlag. Dieser Malprofessor Becker mit den schönen Töchtern, die als malerische Staffage seiner Lokalzelebrität dienen, scheint so eine Art Hausfreund. Und heut abend genießenwir den Vorzug, den Musikus Flotow als Löwen des Abends anzustaunen.«
»Der berühmte Komponist der ›Martha‹«, räusperte sich Dalwigk, »wird hier persönlich die Einstudierung seiner Oper ›Rübezahl‹ leiten.«
» Assurément. Man wäre kein Kavalier, wenn man der Kunst nicht einen gnädigen Blick gönnte. Aber Herr v. Bismarck übertreibt seine Verehrung der schönen Künste. Vorhin beim Diner, wo auch ich die Ehre hatte – zwölf Gedecke –, saß der – eh – Flotow (v. Flothow? wohl ostelbischer Adel, mir unbekannt) – zur rechten des Hausherrn. Der Becker ist natürlich auch dabei und bewegt sich unter uns mit der Gelassenheit eines großen Herrn. Das corps diplomatique sollte doch seinen Fuß vorsetzen, daß solche Verwischung aller Grenzen nicht landesüblich wird.«
»Hm!« bemerkte Dalwigk gewichtig. »Die Eisendecher und andere von ihrer Clique halten alles für comme il faut , was Bismarcks anstellen. Thuns haben die Herrschaften auch verzogen. Manchmal glaubt man sich hier in einem Musikkonservatorium. Da ist so'n verbummelter Legationsattaché, Rudolf v. Keudell, ein entfernter Verwandter der gnädigen Frau, der fällt manchmal hier ins Haus und macht einen Höllenlärm mit Beethoven. Kündigt er sich an, so teilt der Gesandte die frohe Botschaft mit für die Andächtigen, so erzählen Reinhards. Er soll ja sehr gut spielen für einen Amateur, aber der Herr faßt seine Dienstreisen auf wie ein konzertreisender Virtuose. Da sollte man unsern gestrengen Herrn Kollegen sehen! Hingegossen in Ekstase, wenn dieser Keudell und Frau Johanna vierhändig spielen.«
»Ein Cousin, sagen Sie? Vierhändig?« Prokesch wollte schon eine Glosse machen nach schönster Wiener Art, doch der verwunderte Blick Dalwigks und seine eigene Vernunft belehrten ihn über die Aussichtslosigkeit solcher Albernheit. »Merci!« Er ließ sich von einem Diener Champagner einschenken. »Das prickelt so!«, erhob sich und stieß kordial mit dem Hausherrn an, der soeben vorüberkam: »Auf Ihr besonderes Wohl, teuerster Freund! Ich sprach soeben mit Exzellenz Dalwigk über Ihr entzückendes Fest. Nur bei Ihnen findet man jene ungemischte gute Gesellschaft, die den Musen und Grazien huldigt!« –
Prokesch sprudelte mit gewohnter kühler Leichtigkeit sowohl Unwahrheiten als Wahrheitsumgehungen hervor. Er übertraf die kühnsten Erwartungen. Wurde ihm der Boden zu heiß gemacht und die völlige Haltlosigkeit seiner Unterstellungen erwiesen, so ließ er den Gegenstand fallen oder deckte seinen Rückzug mit Ausbrüchen tugendhafter Entrüstung, die sofort einen Frontwechsel verschleierten und meist in persönliche Angriffe ausliefen, so daß man jeden Faden verlor. Seine Präsidialbefugnisse überschritt er regelmäßig und hüllte sich dann in passive Abwehr gegenjeden Vorwurf, so daß der preußische Ankläger oft als überlästiger Zänker und
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