Bismarck 01
ich meine Zweifel selbst bei Robespierre, der mir ein ziemlich bedeutender und verhältnismäßig ehrlicher Mensch gewesen zu sein scheint. Die Hochachtung Napoleons (ein höllisch gescheiter Kerl, obschon mir verhaßt) spricht dafür. Cromwell tat, real genommen, nichts anderes, als einen unfähigen Steuermann mit einem Fußtritt ins Meer werfen und selbst das Steuer übernehmen. Seine Rechtfertigung ist also sehr einfach: durch ihn begann England seine Weltherrschaft. Auch war er der erste wirkliche Einiger Britanniens. Ich erinnere mich an das Gespräch über Richelieu mit Motley, der hatte auf einen jämmerlichen Souverän Rücksicht zu nehmen, was seine Kraft zur Hälfte aufrieb. Cromwell war sein eigener Herr, was eben nur möglich auf dem Wege der Revolution. Ohne die Revolution wäre auch Napoleon nie ans Ruder gekommen. Wäre solch ein Weg in Deutschland denkbar, ganz abgesehen von den ethischen Bedenken? Nein, in unseren Zeiten wenigstens nicht. Und gebärt die Revolution überall Cromwells und Napoleons? Das ist sehr zweifelhaft. Auf die kleine Chance hin darf man keine Revolution wagen und mit dem Feuer spielen. Denn Ordnung muß sein, auch in der Republik. Und wer soll da Ordnung schaffen als ein Militärdiktator mit Blut und Eisen, aus Revolutionskampf aufgestiegen! Das ist nichts für uns, wo jeder Professor die Weltordnung dekretiert und jeder Advokat ein Staatsplaidoyer hält, die Winkeladvokaten obenan. Die Deutschen werden nie ein Genie an ihrer Spitze anerkennen, es sei denn durch ererbte amtliche Titel beglaubigt. So viel ich von uns halte, gegen unsere Schwächen bin ich doch nicht blind. Ja, es frißt mir am Herzen, daß eine so große, so hochbegabte Nation wie unsere als Stiefkind in der Ecke steht, aber ich weiß in meines Herzens Kämmerlein, daß wir ein gut Teil Schuld an unseremeigenen Elend tragen. Wir schieben alles auf den Dreißigjährigen Krieg, aber dessen Wesen war schon lange in uns vorbereitet seit Niedergang der Kaisermacht, die wir selber unterhöhlten, und der endlose Glaubenskrieg selber war nur eine Maske für die wahren Motive. Der Protestant Moritz verriet Metz, Toul und Verdun an das katholische Frankreich, und letzteres focht, mit den Schweden vereint, gegen die katholischen Habsburger. Der brave Gustav Adolf, den wir dummen Deutschen als Protestantenbefreier feiern, war unser ärgster politischer Feind, und der katholische Wallenstein scheint ein besserer Deutscher gewesen zu sein, als all seine protestantischen Gegner. Es ging um ganz was anderes dabei, nämlich um die Souveränität der Herren Fürsten von Sachsen, Hessen, Brandenburg, Hannover. Sich vom Kaiser unabhängig machen, war die Losung, ob der Katholik oder Protestant war. Karl V. als Spanier hatte mehr Herz fürs Reich als diese Fürsten, ihm brach das Herz über dem Verlust von Metz. Ich guter Protestant schätze ihn als guter Deutscher höher als den Landesverräter Moritz. Ja, die deutschen Fürsten waren schlimm, und ist von ihnen heut mehr Patriotismus zu erwarten? Schwerlich. Aber ihre Untertanen sind nicht besser, geradeso Partikularisten und neidische Zänker, wo keiner dem anderen den Vortritt gönnt. Das Wahl-Königtum des alten deutschen Reiches war zwar sehr deutsch, unserer zentrifugalen Eigenart angepaßt, aber gerade deshalb ein Krebsschaden. Und wenn wir heut je wieder ein Wahl-Kaisertum kriegten, dann ginge der alte Schwindel los. Die Welt ist aus den Fugen, doch ich bin nicht gekommen, sie einzurenken. So was mag sich ein Kronprinz Hamlet einbilden. Für mich ist der Rest nur Schweigen. Leute in meiner niederen Sphäre haben den Mund zu halten. Das will ich redlich tun. Nur Gedanken sind zollfrei, und die mag ich hier in alle Winde austoben, und sollt ich meinen Gaul zuschanden reiten.
Der Junker v. Bismarck ritt Galopp über die Heide.
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Die Politik sah er aus weiter Ferne, soviel der neue Monarch von sich reden machte. Dieser König war 45 Jahre alt, als er den Thron bestieg, also reif genug, aber er behielt stets etwas allzu Jünglinghaftes. Sein Idealismus nährte sich zwar mit allen großen Ideen von Kunst und Wissenschaft, und seine Empfindsamkeit löste in ihm eine seltene Wärme hochfliegender Begeisterung aus. Aber bei vielseitiger Begabung und reichlicher Bildung blieb er stets in Selbstwiderspruch befangen. Schon das widersprach sich, daß dieser pathetische Mystiker gleichzeitig als Meister Berliner Witzes galt, daß dieser Mund, der so wohlgerundete tönende Tiraden
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