Bismarck 01
wo doch nur zufällige persönliche Schuld den Bruch erklärt. Ja, die Gegensätze berühren sich, z. B. die schwarze Tinte das weiße Papier, das harte rote Siegellack das gelbe weiche Wachs. Gerade diese Berührung schafft die richtige Einheit, weist jedem sozusagen sein Spezialfach zu. Nein, umgekehrt stößt Gleichartiges sich ab. Sind beide Fächer gleich geformt, was soll da anderes herauskommen, als daß Ecke auf Ecke prallt und jede Lücke drüben die ähnliche Lücke trifft! Zwei harte Mühlsteine mahlen nicht zusammen, und wenn es heißt »Zwei werden auf einer Mühle mahlen«, so müssen die zwei verschieden sein. Ergänzung ist das große Gebot, Hart paßt zu Weich, Verstand zu Gemüt, dann gibt es einen guten Klang, sagt schon Schiller.«
»Drum prüfe, wer sich ewig bindet!« zitierte Mama Puttkamer elegisch. »Die Wahl ist kurz, die Reu ist lang.« Eine Pause trat ein. Otto biß sich leicht auf die Lippen und wußte nicht, ob er dies als eine Warnung betrachten solle. Johanna hielt den Schwarzkopf gesenkt.
»Wir hatten hier neulich eine herrliche Sonntagspredigt«, schnitt Puttkamer ein neues Thema an. »Über das Reich Gottes. Dies solle der Gläubige stets als sieghaft betrachten, das Reich der Finsternis als das immer mehr schwindende, das sichtlich zusammenbricht.«
»Vergleiche 1. Korinther 7, 13, 14«, ergänzte Otto zum Staunen der Anwesenden. Johanna hob den Blick. Herr v. Below räusperte sich.
»Das war allerdings der Text, Sie scheinen seither sehr bibelfest geworden zu sein, Herr v. Bismarck.«
»Allerdings«, bejahte Otto ruhig. »Ich vertiefte mich aber wenig in Kommentarien gelehrter Theologen. Jeder Forschende sollte die Bibel für sich allein lesen und sie nach Maßgabe seiner Kräfte auf sich wirken lassen.«
»Gewiß,« bekräftigte Puttkamer, »doch der Zuspruch gottbegnadeter Seelsorger ist wichtig. Übrigens verdanken wir Protestanten ja erst dem teuren Gottesmann Luther, daß uns Laien das heilige Buch offensteht. Den Katholischen blieb es ganz verschlossen, sie blieben auf Mitteilung und Auslegung ihrer Priester angewiesen, deren vielfacher Irrwahn sie in die Wüste führte.«
»Hm, vom Standpunkt der Kirche war dies Verfahren ganz angemessen, und wer weiß, ob nicht auch die reformierte Kirche am liebsten den gleichen Weg einschlüge.«
»Wie meinen Sie das?« Frau v. Puttkamer ließ erschrocken ihre Häkelarbeit sinken.
»Es steht viel Hohes und Herrliches in den Evangelien, was sich nicht recht mit einigen orthodoxen Dogmen zusammenreimt. Es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, wo man nicht in Tempeln anbetet, sondern im Geist und in der Wahrheit. Was ist Wahrheit? meinte der Heide Pilatus. Nun, die Wahrheit ist, aber –«
»Das Wort ist Fleisch geworden, und wir sahen seine Herrlichkeit«, ergänzte Puttkamer.
»Jawohl, doch nicht jeder liest das Wort gleich, nicht jeder sieht wie die andern. Viele ernste, demütige Gottsucher suchen das Heil in verschiedener Form als wir. Wenn nun jeder die religiöse Erkenntnis für sich pachtet, so lösen wir uns bald in lauter Einzelzellen auf wie in einem Zuchthaus, wo undurchdringliche Scheidewände zwischen allen errichtet sind. Da würden zahllose Konventikel voneinander abgesondert.«
»An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«, erhob Johanna die Stimme. »Die guten Werke entscheiden.«
»Ganz meine Meinung,« verbeugte sich Otto, »doch Werkheiligkeit soll man nicht ausschreien. Siehe Epistel Jakobi 2, 14, Römer 2, 6, 13.«
»Aber auch Matthäi 16, 16«, rief Johanna eifrig.
»Recht so, meine Tochter,« billigte der Alte beifällig, »auch 2. Corinther 5, 10.«
»Ich könnte noch mehr Stellen anführen.« Ottos erstaunliches Gedächtnis behielt die von ihm exzerpierten Stellen. »1. Johanni 3, 7, ferner Matthäi 25, Vers 34.«
»Das ist ja wunderbar«, rief Below. »Sie sollten mit unserem Pfarrer disputieren.«
»Wenn Sie mir eine Bibel darreichen, verlese ich Ihnen noch manches zur Stützung meiner These, daß die Wahrheit nicht bloß einseitig ist.« Johanna holte eine Bibel und nun ging es von verschiedenen Seiten los. Römer 14, 22, 15, 2 und vor allem in der 1. Epistel an die Corinther 4, 5, 8, 2, 9, 20, 12, 4, 13, 2. So warf man sich abgerissene Satzbrocken der Schrift wie einen Fangball zu, spülte mit Überschwemmung von widerspruchsvollen Einzelversen die Streitfragen geistlicher Diskussion hin und her.
»Zuletzt ist nur die Auslegung entscheidend, das Wort Glaube ist mancher Deutung fähig«,
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