Bismarck 01
Dank, nein! Aber was ich meinte, gilt auch für Frauen. Sie könnten geradeso gut lesen: ›Da ich aber eine Frau ward –‹«
»Entschuldigen Sie wieder, ich bin keine Frau, sondern ein Mädchen«, schmollte sie wieder mit einer unbewußten reizenden Koketterie.
»Gottlob, ja!« Das waren doch sehr verfängliche Verneinungen und Bejahungen. Das Herz klopfte ihr unruhig. Sollte –? Aber das war ja nicht möglich.
Er fuhr gemessen fort: »Was uns ergreift, ist immer das Tragische, nur ganz oberflächliche Menschen lieben nicht das Trauerspiel. Dort zieht uns das Erhabene zur Höhe gerade durch den Gegensatz unserer eigenen Nichtigkeit.«
»Aber ist Gott nicht heiter? Ich denke mir alles Erhabene so, alles Majestätische.«
»Wahr, der Held ist heiter, sonst wär' er kein Held. Doch das ist wohl nur Außenseite für die fade Welt. Der Alte Fritz hatte Berliner Humor und machte schnoddrige Witze, aber sonst war er ein Bild der Melancholie. Bei Helden der Tat ist Heiterkeit wohl ein seltener Anblick. Und die anderen – war Goethe heiter? Nach seinen eigenen Bekenntnissen kaum, sicher nicht im gewöhnlichen Sinne. Ruhig war er, nichts weiter.«
»Und auch das wohl nicht«, unterbrach sie ihn. »Ein Heide! und wo ist Ruhe als in Gott?«
Er lächelte flüchtig, berichtigte dann ernst sein eigenes Lächeln: »Sehr wahr. Nur freilich müssen wir bedenken, daß ein Goethe Gott anders schauet als wir. Sie müssen nicht alles glauben, was die Pfarrer reden. Ein Heide war der nicht, weil ihm die Kanzel nichts zu sagen hatte. Ein Goethe hat seinen eigenen besonderen Gott, den er nie verleugnete, geoffenbart in der weiten Natur.«
»Aber das ist ja schrecklich!« rief sie entrüstet. »Ich hoffte schon, Sie seien ganz bekehrt, und nun solche Ketzerei! Offenbart ist alles in der Bibel allein. Die da reinen Herzens sind, werden Gott schauen. Und Goethe ... ich weiß ja wenig davon, man gab uns nur Iphigenie und Gedichte zu lesen, die klingen sehr schön ... ich bin nur ein dummes Mädchen, doch reinen Herzens war der nicht.«
Heilige Einfalt! schwebte ihm auf der Lippe, doch er sagte nur tief erregt: »Dann verdammen Sie mich also ganz, meine Gnädige. Denn auch ich war ein großer Sünder.«
»Aber Sie sind reuig, bekehrt,« rief sie eifrig, »das ist ganz was anderes. Mich stimmen Sie nicht um«, fuhr sie mit einer gewissen schnippischen Altklugheit fort. »Große Männer müßten heiter und zufrieden sein, weil Gott ihnen so große Gaben verlieh.«
»Das möchte so sein. Doch fragen Sie mal an bei dem großen englischen Dichter Byron, der noch in meiner Jugend lebte –«
»Das war ja der leibhaftige Satan mit einem Hinkefuß!«
»Aber schön wie ein Engel. Die Ästhetiker reden bei Shakespeare von sonnig und olympisch, doch von dessen Leben wissen wir nichts, und in den Werken überwiegt das tragische Leid. Nein, nein, das Genie gleicht immer dem Luzifer, wie Byron ihn malt, dem schönen gefallenen Engel, düster und friedlos in seinem Stolze. ›Gram scheint hier Hälfte der Unsterblichkeit.‹ Denn, wohlgemerkt, Unsterblichkeit der Seele, Fortdauer nach dem Tode, when we have shaken off this mortal flesh , bestritt nie ein großer Mann.«
Sie schwieg und wußte nicht, was sie einwenden sollte, brach daher rasch ab mit weiblichem Takt: »Kommen Sie nicht herein zu Papa und Mama? Es ist Teestunde. Beiläufig, Helene Dewitz schrieb mir, die Schwester Ihres Freundes. Die kennen Sie doch gut? Sie wurde als Backfisch – abscheuliches Wort – mit Ihrer Schwester Malwine zusammen im Kniephof erzogen.«
»Eine oberflächliche Kokette von durchaus weltlichem Sinn!« Er zuckte gleichgültig die Achseln. »Was will die von Ihnen? Sie haben nichts mit ihr gemein, getrennte Welten. Empfehlen Sie mich den hochverehrten Eltern, dieses Gespräch hat eigentümliche Gedanken in mir aufgewühlt. Ich möchte allein durch die Heide schlendern und beurlaube mich bei Ihnen zu Gnaden.« –
Johanna saß abends lange am Fenster in ihrer jungfräulichenSchlafstube und starrte in die Nacht hinaus. Welch ein seltsamer, außerordentlicher Mann! Luzifer! So stark, so hoch, so stolz, herrlicher als alle, und doch so verstimmt im Gemüt! Das macht die Sünde! Doch er bereut ja so. Wie genau er die heiligen Schriften kennt, fast wie ein Pfarrer. Wen der wohl heiraten mag! Wenn er's überhaupt tut. Mich hat er sehr gern, das weiß ich, als Freundin natürlich. – Sie seufzte leicht und blies ihre Lampe aus.
*
Fräulein v. Below auf
Weitere Kostenlose Bücher