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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Geldborgen. Selbst wo es wie unter jungen Herren auf Gegenseitigkeit beruht, treten die leidigen Formen auf, daß man am liebsten nicht zurückbezahlt. Liegt der Fall einseitig, steht es noch schlimmer. Der Empfänger dankt nie wirklich für die Gefälligkeit des Darleihers, oft ein hochherziges Opfer, sondern entrüstet sich, wenn der andere es mal notgedrungen zurückfordert und wird dann dessen heimlicher oder offener Widersacher. Otto war nie in der ungünstigen Lage gewesen, in diesen tiefsten Seelenschmutz zu sinken. Doch teilte er als Student nicht die übliche geniale Empörung über die kleinlichen Philister, die als Schuster und Schneider endlich auf Bezahlung ihrer Rechnungen drangen? Daß sie Kredit gewährten, galt für nichts, obschon er ihnen doch dafür schöne Worte gab. Wodurch erhob er sich denn über seine verachteten Mitmenschen, da er doch all ihre Fehler an sich selber wiederfand? Selbst in der Schmutzerei, die man Liebe nennt, war er im Grunde nicht besser als andere. Gewiß hatte er nie eine Unschuld verführt oder eine Ehe gebrochen, aber gelegentlich seit seiner Referendarzeit die üblichen Straßenblumen aufgelesen und sie dann achtlos weggeworfen. Sie waren ja danach, andere mochten nach ihnen langen von Hand zu Hand, nicht mal ein »Verhältnis«, sei es noch so kurz, hatte er gehabt. Aber gab ihm dies einen sittlichen Vorzug? Die Wahrheit war einfach die, daß ihm erotische Anlage fehlte, sonst hätte er's geradeso getrieben wie viele andere, wäre darin geradeso unbändig gewesen wie im Saufen. Worüber hatte er sich also vor Gott zu beklagen? Nur sich selbst anzuklagen, seine Unverschämtheit, ein Leben zu verachten, das er nicht adeln konnte, und die Menschen zu verachten, die er nie zu bessern strebte, für die er sich nie ernstlich bemühte, die er im Gegenteil oft durch sein schlechtes Beispiel zu Bacchanalen und Tollheiten verführte. O, er war ein Sünder, ein großer Sünder! Jetzt auf einmal begriff er Cromwells plötzliche Illuminatio, den aus wüstem Treiben die »Gnade« erlöste, die puritanische Wunderkur, der von sich aussagte, er sei aus Finsternis zu heiliger Trübsal und von da zum Licht erwacht. »Ich weiß, daß ich einst in der Gnade war«, bekannte der große Herrscher auf seinem Totenbette. Einmal sah er den Horebstrauch, ein Moses, ein David, ein Rüstzeug des Herrn. Düster brütete Otto über solcher Gnadenwahl. Ja, wer solch Rüstzeug wäre! Wer erwählt würde, ein Gefäß großen Schicksals zu sein!
    Unheimlich dämmerte ihm unbestimmte Ahnung, daß seine kalte Verzweiflung vielleicht aus tieferem Abgrund keimte. War er wirklich nicht anders als die andern alle, mit gleichen niedern Trieben behaftet, warum geben sich jene mit dem nichtigen Dasein zufrieden und er allein wälzte sich innerlich in krankhaftem Weltschmerz, dem nur Byrons dröhnendes Löwengebrüll Genüge tat? Seine poetische Ader erklärte das nicht, ihr hielt ja eine robuste Weltlichkeit das Gleichgewicht, eine derbe Sinnlichkeit,wenn auch nicht im erotischen Sinne. Der zartnervige Ekel des Ästheten vor rauher Wirklichkeit war nicht sein Teil, seine Lebensqual stammte aus tieferer vulkanischer Schicht. Glich sie nicht dem halben Ersticken eines Geknebelten? Fühlte er nicht ein Etwas in sich, das nicht am rechten Platze war, eine Schaffensmöglichkeit, die blind wie Polyphem in der Höhle nach einem »Niemand« suchte, den sie nicht fassen konnte? Wie das Elbwasser unter der Eisschicht, brodelte und gurgelte und murrte und schäumte ein Etwas, das zum Oberlicht wollte und nicht dazu gelangte. Schaffen! Aber was? Er war kein Dichter, kein Künstler, kein Feldherr. Und doch mußte er kommandieren, Feldzüge führen, Völker zum Siege leiten, wenn ihn je innere Befreiung von seinem starren Bann erlösen sollte. Ja, er verachtete die feile Menge, die heute Hosianna und morgen Kreuzige ruft oder auch in umgekehrter Folge. Denn wie viele Große sind erst am Ende ihres Lebens und noch mehr erst lange nach dem Tode gewürdigt worden! »Seh'n Sie, wie das Volk Sie liebt!« schmeichelte man dem Lord-Protektor der Inselreiche, doch der grimme Oliver lehnte kühl ab: »Bei meiner Hinrichtung würden noch viel mehr sich drängen.« Nicht auf der Menschen Urteil berufen sich solche Titanen, auch beurteilen Menschen sie immer falsch. Gott rufen sie an und die eigene heroische Seele. Doch die Masse braucht man, um große Taten zu vollbringen. Und wer vollbringt sie? Das Genie? Torheit! Die ewige Vorsehung!

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