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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Schlummerkissen Vergessenheit zu trinken. O Byron! »Wenn dein Gedächtnis schnell durchmißt der Stunden Frist, die frei von Pein, sprich, was du auch gewesen bist, ist es nicht besser nicht zu sein?« Mit tiefer Bitterkeit prägte er sich Manfreds Wort ein: »Baum der Erkenntnis ist nicht der des Lebens«, und den Schlußsatz: »Zu sterben ist so schwer nicht, alter Mann«. Sein eigener Trotz erhob sich an Manfreds Abwehr des Dämons: »Ich war mein eigener Zerstörer, will's auch fürder sein. Des Todes Hand liegt auf mir, nicht die eure.« Luzifers und Kains Flug durch den unermeßlichen Sternenraum machte er gerne mit und ließ sich berauschen von Ewigkeit. Nur »Don Juan«, die humoristische Weltdichtung stieß ihn ab wegen des erotisch-sinnlichen Einschlags, der nun einmal nicht in seinem Blute lag. Sonst schwärmte er für jede Weltschmerzpoesie, je trüber, desto besser. Das affektierte, parfümierte Dandylied des jugendlichen Pilgers Harold »An Juez« wußte er auswendig.
    Mit einem schier vorwurfsvollen Blick schaute er zu jenem Ahnenporträt empor, dessen Typ ihm selber so auffallend glich. Damals konnte ein rechter Kerl sich noch ausleben und singen: Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne. Und in jener gewaltigen Zeit, die vor seiner Geburt lag, da dröhnte aus dem Hufschlag der Muratschen Geschwader das Pappenheimerlied: Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein. Aber was kam dabei heraus? Warum stammte er von einem Geschlecht soldatischer Raufbolde ab? Seine feinere poetische Ader empörte sich gegen die rohe Lebenslust.Begann nicht das Evangelium Johanni: Im Anfang war das Wort oder, wenn man Logos richtiger überträgt, der Geist?
    Die Nacht war still, und er lehnte sich zum Fenster hinaus. Die Sterne glitzerten hoch am Firmament. Und Goethes Faustwort fuhr ihm durch den Sinn: Im Anfang war die Tat! In der Ferne scholl Gesang. Ein Trupp Turner, der von einer Turnfahrt heimkehrte und nach Stendal marschierte, stimmte Maßmanns Lied an, das er auf der Flucht aus Preußen, des Landes verwiesen und als Demagoge geächtet, schlicht und ernst gedichtet hatte. »Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand dir, Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland«.
    Otto Bismarck lauschte lange. Dann überfiel ihn plötzlich ein nervöser Weinkrampf, wie öfters in Augenblicken tiefster Erschütterung. Wer es an diesem Hünen erlebte, stand starr vor Staunen. Wenn er selber las, daß dem Alten Fritz bei jeder Gelegenheit seelischer Erregung die Tränen hervorstürzten, erschien es ihm unmännlich. Er mußte sich erinnern, daß dem gleichen schmächtigen Helden das grimme Wort entfuhr: »Ihr Racker, wollt ihr denn ewig leben?«, um nicht verächtlich die Lippen zu krümmen. Doch das nervöse Temperament der Genialen läßt seiner nicht spotten. Und ob es sich ausnahmsweise in reckenhaftem Körper verbirgt, sie bleiben alle von gleicher Art, Cromwell weinte wie Friedlich der Große, dem blonden germanischen Herrenmenschen wird am leichtesten das Auge naß. Es hat etwas Furchtbares, wenn starke Männer weinen. Doch wenn die Genialen weinen, dann hat es etwas zu bedeuten, dann fließt eines Tages Blut aus Wunden der Menschheit ...
    In weiter Ferne verklang das alte Lied. »Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand dir, Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland.«
    *

Schon als Referendar fühlte er sich alt, durch ein Leben gealtert, das ihm seiner Meinung nach übel mitspielte. Er schwelgte in einem Selbstbedauern, das von Unwahrhaftigkeit nicht frei war, um so mehr er auch »die Leute«, d. h. seine Mitmenschen verantwortlich machte, als ob diese ihn unsanft angefaßt hätten. Im Gegenteil hatte man ihn stets wie ein rohes Ei behandelt, ihn in Watte gewickelt, ihm vieles durch die Finger gesehen. Er kam sich unendlich blasiert vor und meinte, daß ihm nur schale Neigen im Lebenskelche blieben, daß er Bitternis bis zur Hefe trinken müsse. Darüber wuchs in ihm ein Eigensinn, der sich schon in seiner Schrift ausprägte. Früher weicher, nahm jetzt ihr steiler scharfer Duktus den Stempel großzügiger Härte an.
    Seiner Art nach eher Verschwender, begann er genau und mitunter knauserig zu werden, und gedachte mit Ärger an verbrauchte Freunde, die seine Gutmütigkeit im Pumpen ausnutzten. Nirgends zeigt sich die Hinfälligkeit und inkarnierte Selbstsucht der Menschennatur lächerlicher und krasser als beim Niedergang jedersogenannten Freundschaft durch

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