Bismarck 02
einem Behagen an schlechten Witzen oder taktlos persönlichen Schnurren, die er für witzig hielt, trugen dazu bei, daß sich ein falsches Bild bei skeptischen Beobachtern über seine geistigen Fähigkeiten festsetzte. Er stand, wie die allermeisten Fürsten, weit über dem Durchschnitt, was die demokratische Legende ja niemals Wort haben will, so wie er moralisch noch mehr als die meisten Fürsten (seinen verehrungswürdigen Vater ausgenommen) sich über den Troß der Vielzuvielen erhob. An starkem Bildungsdrang wäre er eher Otto verwandt gewesen, nur lagen seine literarischen Bedürfnisse mehr nach der historischen als der ästhetischen Richtung, obschon er sich, ähnlich wie der kommende König von Bayern als Schirmherr der Künste fühlte. Wegen Neigungen seiner begabten Gattin gab er hier der Malerei den Vorzug. Seine Lieblingslektüre bildeten Freytags »Bilder aus der deutschen Vergangenheit«, was jedenfalls einen von jeder Seichtigkeit entfernten Geschmack beweist. Auch hier kontrastierte sein lebendiger deutscher Nationalsinn mit der michelhaften Vorliebe für Fremdländisches. Sein Leiborgan waren die damals gegründeten »Grenzboten«, in denen Julian Schmidt, ein damals hochberühmter Kritikus, den Klassikerruhm Gustav Freytags verkündete. Dieser tüchtige, nur maßlos überschätzte Schriftsteller stellte klüglich der revolutionären Literatur des einstmaligen jungen Deutschland einen gothaisch-gemäßigten Liberalismus entgegen, dessen Mannesstolz vor Fürsten und Adel sich in höchst gesetzmäßigen Formen aussprach. Seine Bürgerlichkeit buchte gewissenhaft Soll und Haben, feierte die Journalisten, diese echte Pflanzschule der Bourgeoisie, und suchte nach der verlorenen Handschrift des einigen Deutschland ausgerechnet in Koburg bei seinem Gönner, dem Herzog Ernst. Dieser entschieden geistvolle, aber als Charakter nichts weniger als tadelfreie Fürst übte als Onkel der Kronprinzessin einen nicht heilsamen Einfluß, obschon die unparteiliche Geschichte weiß, daß er sich bei mehreren Krisen selbstlos in Preußens Dienst stellte. Eins verband die gothaischen Monarchisch-Liberalen alle mit seltener Einhelligkeit: ihr grenzenloser Widerwille gegen diesen Abenteurer Bismarck. Der politisierende Freytag wußte genau, daß der unheilvolle Junker Preußen ins Verderben reiße und die deutsche Einheit um Jahrzehnte aufhalten werde. Solches waren die Orakel, auf die der Kronprinz lauschte. Denn das brauchte er nicht zu wissen, daß der von rechts und links verfemte Ferdinand Lasalle den großen Julian Schmidt als Schmulian Jüd seichter Literatenfrechheit entlarvte und über den verruchten Ministerpräsidenten in sozialistischen Volksversammlungen belehrte: »Wir mögen mit ihm Schüsse wechseln, doch eins wissen wir von ihm, er ist ein Mann im vollsten Sinne.« Denn der Geniale erkennt den Genialen, das mittelmäßige Talent wird freilich ja auch den Genialen erkennen, nämlich durch die instinktive Abneigung, die er einflößt. –
Der so hoheitsvoll Niedergedonnerte dachte sofort (für ihn so bezeichnend) an den Infanten Carlos und Alba und erwiderte unbewegt, obwohl ein düsterer Titanenzorn ihm an der Leber nagte: »Königliche Hoheit haben mich wohl gründlich mißverstanden. Das Land und die Dynastie werden geschädigt, wenn König und Thronfolger sich entfremden. Mein Monarchismus zwingt mich, alles zu tun, um diese Irrung aufzuheben. Deshalb hielt ich Seine Majestät Ihren Herrn Vater von entscheidender Vergeltung ab, zu der er entschlossen schien. Ich bin sein treuer Diener. Ihnen aber wünsche ich, daß Sie bei Ihrer Thronbesteigung ebenso treue Diener finden. Eure Königliche Hoheit müssen sich den Irrtum aus dem Sinn schlagen, als ob ich jemals Ihr Minister zu werden hoffte. Erstens habe ich den Posten nur angenommen aus Pflicht, nicht aus Ehrgeiz, zweitens aus persönlicher Liebe und Treue für einen besonderen Herrn, Ihren Vater, drittens will, kann und werde ich Ihr Minister nicht sein, weil ich Ihre Grundsätze nicht billige. Ich habe es nicht verdient, wie ein Höfling und Stellenjäger behandelt zu werden. Auf welchem Standpunkt wir auch stehen mögen, sowohl Eure Königliche Hoheit als ich sind deutsche Männer.«
Es zuckte in dem schönen Gesicht des Kronprinzen, sein blaues Auge bekam einen feuchten Schimmer. Dann streckte er Otto die Hand hin und rief: »Verzeihen Sie meine Aufwallung! Ich war ungerecht. So weit unsere Wege auseinandergehen, ich fühle und weiß, daß Sie nicht
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