Bismarck 02
derselbe Mann, vor dessen Kampfzorn der halbe Bundestag zittert?«
Otto hatte gerade bei einem Stück Beethoven schwermütige Erinnerungen. Vorher erhielt er verführerische Einladung seiner schwedischen Jagdfreunde. Da stieg das Bild seines Kniephofer Weihers vor ihm auf, wo im Schilf die Enten sich duckten und er im Nachen fuhr, entkorkte Sektflasche zur Linken, die Büchse schußbereit zur Rechten, in der Hand den Hamlet, in dessen seelische Untiefen er sich herabsenkte. »Die Welt ist aus den Fugen. Schmach und Gram, daß ich zur Welt sie einzurichten kam!« Ach, das war gerade das Elend, daß er nicht dazu kam. Nun, heut hatte er keine Zeit mehr, Hamlet zu lesen, und auf schwedische Jagdfreuden mußte er verzichten, weil er zwischen Baden-Baden und Berlin hin und her pendeln mußte. Er fuhr aus seiner Träumerei auf und notierte sich, daß er morgen früh seinen Vorgesetzten Manteuffel auf der Bahn abholen müsse, um mit ihm zum Prinzen Wilhelm zu fahren ...
Er hatte in den sauren Apfel beißen und dem Thronfolger ohne Nennung der Namen beichten müssen, daß ein unheilschwangerer Plan im Werke sei, ihn um seine Regentenrechte zu bringen. »Seine Majestät soll seine Unterschrift zu einem Briefe an Euer Hoheit geben, daß er sich wieder ganz wohl fühle und die Zügel erneut an sich nehmen werde.«
»Das ist ja Wahnsinn. Mein Bruder ist völlig unfähig dazu.«
»Das wissen die Betreffenden sehr gut. Ihre Majestät die Königin soll fortwährend Kontrolle üben und die Unterschrift des Königs beschaffen, in dessen Namen dann gewisse Herren die Regierung ausüben würden.«
»Aber das ist ja Hochverrat! Und wie stellen Sie sich zu solchem Ansinnen?«
»Ich bezeichnete es als eine Art Haremsregierung.«
»Jawohl, der kranke Mann in der Türkei! So weit sind wir schon!« rief der Prinz entrüstet. »Dann nehme ich meinen Abschied auch aus meinen militärischen Ämtern.«
»Das würde den Wirrwarr nur verschlimmern. Es fragt sich doch, wie sich das Staatsministerium dazu stellt.«
»Manteuffel, der mir übel will ...«
»Ist auf sein Gut gereist«, ergänzte Otto mit feinem Lächeln.
»Natürlich, er hält' sich stille, um sich nicht zu kompromittieren. Was raten Sie?«
Ihn sofort telegraphisch herzitieren und so der Intrige ein Ende machen.«
»Soll geschehen.« Nach einer Pause fuhr der Prinz fort. »Mit Schleswig-Holstein machten Sie gute Arbeit.«
»Wie man's nimmt. Äußerliche Einigkeit. Österreich wird stets hinterm Rücken mit Dänemark liebäugeln und öffentlich großdeutsche Reden halten, und fällt dann der Erfolg nicht ganz so aus, wie die Deutschen wünschen, dann haben natürlich wir die patriotische Suppe verdorben als selbstsüchtige Sudelköche.«
»Wir müssen wohl mal Abrechnung halten«, murmelte der Fürst. »Nun, Dänemark fiel ja um, aber wer weiß, ob ihm nicht später wieder die böse Lust kommt. Hat es Rückendeckung an Frankreich?«
»Ich zweifle sehr. Wäre dem so, hätte man schon ein Loch in unserer Bundestagkompetenz entdeckt.«
»Sie sind auch unzufrieden mit dem Zollverein?«
»Mit seiner jetzigen Form, die wir kündigen sollten. Ich bin dafür, daß unsere Kammern und die Presse recht derb und grob den andern Regierungen zu Gemüte führen, daß sie sich um die Fleischtöpfe Ägyptens bringen, wenn sie durch kleinliche Rankunen uns den Spaß verleiden. Die öffentliche Meinung in Deutschland schmachtet nach einer Gelegenheit, bei der sie die Regierung scharf kritisieren kann. Sprechen wir recht viel von der Einheit, deren Sinnbild der Zollverband, so wird ganz Deutschland sich auf unsere Seite stellen.«
»Sehr beherzigenswert, in der Tat. Für so scharfe Maßregeln ist indessen Manteuffel nicht der Mann. Kommt er, so will ich ihm eine Alternative stellen. Unter so unsicheren Zuständen leidet der Staat.«
Manteuffel forschte auf der Fahrt, wie der Thronfolger ihm gesonnen sei. Otto antwortete ausweichend. Er hatte den Eindruck, daß man den Premier verabschieden, ihn aber vorher zur Einsetzung der Regentschaft benutzen wolle. Und so geschah es. Die Haupt- und Staatsaktion der Mitte Oktober proklamierten Übernahme der Staatsleitung durch das neue Oberhaupt hatte als zweiten Akt die Ernennung des mediatisierten Fürsten v. Hohenzollern-Sigmaringen zum Ministerpräsidenten. Die neue Ära hatte begonnen, doch viele brauchten das Wort in spöttischem Sinne. Es ließ sich nicht leugnen, daß auch verstaubte Revolutionsgrößen wie Graf Schwerin aus der Versenkung
Weitere Kostenlose Bücher