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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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manchmal den Boden unter den Füßen verlieren.«
    Der Stich galt Thiers, der jetzt so kräftig gegen Preußen donnerte, das er früher mit Lobsprüchen überhäufte. Der parierte als echter Franzose mit einer Malice: »Als Historiker bin ich begeistert, solche authentische Witze aus berufenstem Munde zu hören. Vielleicht klären Herr Minister mich auf, ob ein Geschichtchen wahr ist, das unser früherer Gesandter in Frankfurt erzählt. Ich habe es von Rothan, der diplomatischen Skandalchronik. Als ein schmelzendes Lied des großen Goethe am Klavier gesungen wurde, sollen Eure Exzellenz sich geschüttelt haben: ›Welche Schneiderseele, dieser Goethe!‹ Das ist wohl apokryph? Ich fände es wunderbar bezeichnend für einen harten Realisten.«
    Kaltblütig erwiderte Otto: »Sie scheinen mißzuverstehen. Ich zitierte obige Proben nicht als authentisch, sondern um darzutun, was für sonderbare Bemerkungen mir der Leumund in den Mund legt, so sonderbar wie das von Herrn Herzog von Gramont so geschmackvoll mir vorgetragene schmeichelhafte Bonmot. Was hingegen den von unserem großen historischen Forscher seiner Aktenmappe einverleibten Ausspruch betrifft, so erinnere ich mich zwar dessen nicht, doch er sieht mir so ähnlich. Vermutlich wurde etwas Weichlich-Sentimentales vorgetragen, Goethe war eben ein Kind seiner Zeit, wo die Deutschen ihre Herzensaffären für das einzig Wichtige hielten. Ich, meine Herren, bin ein Mensch ohne Herz oder, wie man im Französischen sagt, ein Mann von Eisen. Das Gemüt kam bei mir zu kurz.« Diesen Bluff glaubten ihm alle Hörer gern. Daß er zum Frühstück gebratene Säuglinge verzehrte, war freilich nur ein unverbürgtes Gerücht, doch daß er seine achte Frau jeden Tag ohrfeigte und als Ritter Blaubart eine Schreckenskammer beherbergte, so viel wußte man in Paris denn doch, wo man alles weiß. Daher der Name Lichtstadt (Fabrikmarke V. Hugo). »Leider muß ich betonen, daß auch meine Landsleute sich sehr gewandelt haben. Sie sind böse herzlose Menschen geworden, die nicht mehr seufzen und musizieren, sondern besonders Trommel- und Janitscharenmusik lieben. Und wenn Goethe heute Mignonlieder schmachten oder sich liebevoll mit dem Monde unterhalten wollte, so würden die Neudeutschen, die in Reih und Glied marschieren, ihn wohl auch für einen schwindsüchtigen Schneider halten.« (Ob die Anekdote wahr oder nicht, jedenfalls ließ sie sich nur so erklären, daß Otto das ästhetische Gesäusel und Geklimper zu viel wurde, indem er an die Donner kommender Gewitter dachte und an einen kosmopolitischen Herrn Geheimrat, der auf dem Schlachtfelde von Jena Knochenpräparate suchte. Wer noch als Greis verliebte Lieder spann und keinen Gedanken an sein zerrissenes erdrücktes Vaterland verschwendete, der mochte wohl dem burschikosen wildverbitterten Einheitsträumer in Frankfurt in einem Augenblick inneren Grimmes und Grames den Ausruf entpressen, dessen Mißdeutung durch poetische Gänseriche und Gänse ihn wohl obendrein noch unbändig freute.)
    Die scheinbar achtlos hingeschleuderten Worte – es war auf dem Bankett der Pariser Munizipalität, vertreten durch den Stadtpräfekten Baron Haußmann im Hotel de Ville – gaben den Hörern zu denken wie verhaltene Drohungen. Als die Souveräne nachher ihren Umzug in den festlich erleuchteten Sälen hielten, fielen die Strahlen zumeist auf den weißröckigen Isegrimm, in dessen Helm die Kerzen der Kronleuchter sich spiegelten.
    Der Abschied des Königs vom Kaiserpaar fiel rührend aus. Der ritterliche liebenswürdige Greis hatte sich das Herz der Pariser erobert, denen es ja nicht an einer kindlichen Gutmütigkeit fehlt, solange die Eitelkeit nicht verletzt wird. Eugenie war eitel Holdseligkeit, Louis ein bezaubernder Wirt. Der König war ganz gewonnen, seine Stimme bebte beim letzten Wort: »Adieu, treurer Bruder und Freund,« worauf der Empereur herzlich: »Adieu, doch auf Wiedersehen!« Ach, ein Kobold historischen Treppenwitzes lispelte ein boshaftes Echo: Auf Wiedersehen!
    Otto warf bei der Abfahrt einen seltsamen Blick auf das Seinebabel, wo die vergoldete Kuppel des Invalidendomes herüberschimmerte. Moltke saß stumm und gleichgültig da. »Sie haben sich ja sehr dünn gemacht«, meinte der König, »man sah Sie ja nirgends. Zuletzt bei der Revue in Longchamps, 55 000 Mann glänzender Truppen. Wo steckten Sie denn?«
    »Ich machte einige strategische Spaziergänge in der Umgegend«, versetzte Moltke ruhig.

Aus dem süßen Traume, die

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