Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
Schlagworten. Ich habe nichts gegen Posa und Tell, wenn der eine nur nicht so viel reden und der andere sich nicht als Befreier brüsten wollte, weil er einen Landvogt erlegte. In der Wirklichkeit gibt's nur Kabale und keine Liebe, Begeisterungsrummel fügt keinen Stein zum Bau, dem nur Blut ein Mörtel sein kann. Wallenstein – o ja!
    Er ging mit wankenden Schritten zum Bücherschrank, wo selbst der konservative Below die Klassiker aufstellte, und nahm den Band heraus, suchte und fand die Stelle:
    Der Augenblick ist da, wo du die Summe
Der großen Lebensrechnung ziehen kannst.
Die Zeichen stehen sieghaft über dir,
Glück winken die Planeten dir herunter
Und rufen: es ist an der Zeit!
    Ein heftiger Fieberschauer schüttelte ihn, und er versank in eine Betäubung. Nach Rußland ... wie war das doch bei meiner Hinreise? Da packte mich ein alter, freundlicher General auf den Extrazug des Prinzen von Oranien, welcher joviale Herr mir eine gute Sumatrazigarre offerierte ..., wie man sich doch an jede Fürstlichkeit erinnert, als seien dies Auserwählte des Himmels ..., der Prinz wird wohl nie davon reden, daß er mal mit einem gewissen Bismarck im Salonkupee durch die Einöde fuhr ..., meine Tage sind gezählt, mein Name bald vergessen...
    Ihm schwanden die Sinne. Zu Bett gebracht, hörte er gelehrte Konsultation von Ärzten: »In der zerstörten Vene hat sich ein Trombus formiert, der hat sich jetzt losgelöst in die Blutzirkulation. Daher akute Lungenentzündung.« Aus weiteren halblauten Äußerungen und bedenklichen Mienen bei Fortschreiten der Krankheit entnahm er sein Todesurteil. Nachdem er letztwillige Verfügung getroffen, erwartete er eine Woche lang unter kaum ertragbaren Qualen sein Ende. Wäre nur erst alles vorbei! Die arme Nanne, die armen Kinder! Da überkam ihn ein furchtbarer Gedanke, ein furchtbar erhabener Gedanke: das arme Deutschland!
    Und Cromwells Frage auf dem Totenbett fiel ihm ein: Kann einer aus der Gnade fallen, der einmal darin war? Nein? Nun, ich weiß, daß ich einmal in der Gnade war ...
    Und er betete mit zitternden Lippen: Du lebst, gerechter Gott, und ich, der ich sterben soll, bin nichts vor dir, ein unwürdiges Rüstzeug. Aber ich habe mich redlich bestrebt nach meinen schwachen Kräften für eine große Sache. Es gibt wohl bessere Kämpfer als mich, aber ich sehe sie nicht, darum will ich versuchen, zu leben. Solches sei mir ein Zeichen: sind andere würdiger befunden vor dir, so laß mich dahingehen, bin ich aber gewürdigt deiner Gnade, dann laß mich leben. Denn du weißt, ich bitte jetzt nicht für mich ... Und abermals fielen ihm Cromwells Todesworte ein: Tat ich Großes und Gutes, sei es nur England angerechnet, tat ich Schlechtes, nur mir allein!... In deine Hände befehle ich meinen Geist. Mag ich leben oder sterben, lang lebe das Volk der Deutschen! –
    Die Ärzte fanden ihn in festem, tiefem Schlaf, in Schweiß gebadet, die Zähne zusammengebissen, auf dem schreckhaft ernsten Gesicht den Stempel finsterer Entschlossenheit. Sie tauschten gelehrte Betrachtungen aus. »Die Krise ist überstanden, er wird davonkommen, der Mann hat eben eine Riesennatur.«
    Gott kann alles. Der Mann des Schicksals hatte den Tod überwunden.
    *
    Erst im März des folgenden Jahres konnte er sich wieder in Berlin einstellen, Rekonvaleszent von langem Siechtum. Darauf nahm man aber wenig Rücksicht, nötigte ihn zu Sitzungen im Herrenhaus und lieh seinem Wunsch zu baldiger Abreise auf seinen alten Posten kein geneigtes und geflissentlich taubes Ohr. Budbergs Kaviar und Kurier hatten die Wege schon frei gefunden, voll Staub statt voll Schnee, Otto aber mußte Wochen um Wochen in der grüntapezierten Hotelstube sitzen und vom Balkon aus die Spreekähne und die Spatzen betrachten, was keinen Ersatz für das Newabild gab. Mit der Loreley fühlte er um so weniger Ähnlichkeit, als er keine Kämme für sein goldenes Haar bedurfte, das schon durch Abwesenheit glänzte. Seine Glatze verbreitete sich immer kahler. Schon die vierte Abschiedsaudienz und immer wieder der freundliche Befehl: »Bleiben Sie noch einige Tage.« Man wollte ihn offenbar hier behalten. Die Gräfin Perponcher, deren Gatte in Ottos Abwesenheit ihn in Petersburg vertrat, und er klagten sich manchen Abend gegenseitig ihr Leid.
    »Hangend und bangend mit schwebendem Bein, ›Goethes Turnerlied‹, sagte die Engländerin. Einen Fuß hier, den anderen im Norden.«
    »Und dabei wünscht Schleinitz dringend meine etwas entferntere

Weitere Kostenlose Bücher