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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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war gemeint, jetzt offizieller Chef des Militärkabinetts und Otto nicht sehr gewogen. Er grüßte zurückhaltend: »Sie erwarten Herrn v. Schleinitz schon lange, wie ich höre. Er war abgehalten, kommt aber jetzt. Der Gesandte Usedom, den Sie ja alle kennen, befindet sich momentan bei Seiner Königlichen Hoheit.«
    Es wurde immer unheimlicher. Schleinitz war kühl, und es regnete heftig. Otto saß immer bei seinen Moskowitern und hatte nichts auf der Zunge als Galizin, Trubetzkoi, Ustinow, Beranow und andere, die ein »sow« als Endsilbe hatten. Aus Langeweile machte er der Obolenski in allen Ehren den Hof, sehnte sich aber krank nach seiner schlichten deutschen Familie in Reinfeld. Der Thronfolger hörte Klagen von Damen über die Impertinenzen der englischen Usedom, und von männlicher Seite über die Unfähigkeit des Gesandten, vermochte aber dem Bruder Freimaurer nicht gram zu sein, den Schleinitz und vor allem die Prinzessin protegieren. Über Otto kam es am Frühstückstisch zu Meinungsverschiedenheiten.
    »Ich glaube ja auch, daß der Mann es gut meint,« urteilte die hohe Frau, »doch die Enge seines Gesichtskreises!«
    »Er ist eben zu sehr Idealist für eine so positive Kunst wie die Realpolitik, und doch so wenig Idealist, daß er uns mit dem Neffen Parvenü verbünden möchte gegen deutsches Blut!«
    Das war der Staatsmann Schleinitz, der so sprach. Doch der Regent schwieg und lehnte weiteres Eingehen auf den Gegenstand ab.
    In Frankfurt suchte Otto die Gallusgasse auf, wo er so lange gewohnt, und stand dort, an den Gartenzaun gelehnt, in tiefen Gedanken. Acht Jahre verzweifelter Arbeit für nichts, wie Spülicht weggegossen, vertollpatscht durch windige Dreinpfuscher! Er drehte sich militärisch kurz auf den Hacken um und kehrte dem Schauplatz seiner Kämpfe den Rücken. Gott helfe Deutschland, ich kann's nicht mehr! ... Und nimmermehr betrat er diese Stätte, summte ihm Byrons Wort im Ohr ... Das unsichtbare Transparent sah er nicht, das im Astrallicht über seiner alten Wohnstätte strahlte: Hier schaute der Erwählte das neue Reich.
    *
    Er fand sich im goldschimmernden Troß hoher Würdenträger ein, der sich in Lazianka, der Warschauer Residenz, um den Zaren drängte. Dessen Zusammenkunft mit dem Prinzregenten in Breslau schien günstige Folgen zu haben und belehrte jedenfalls Europa, daß Preußen gegen halbe oder falsche Freunde nicht alleinstehen werde. Daß Otto einen erheblichen Anteil an dieser russischen Entente hatte, hob sein Ansehen in Berlin, nichtsdestoweniger fuhr man fort, ihn als eine Art Spießgesellen, Helfershelfer und Mitschuldigen des arglistigen Napoleon zu verunglimpfen. Denn mit der unergründlichen Gemütstiefe des deutschen Michels verträgt sich stets die Zuneigung am falschen Ort und der übertriebene maßlose Haß gegen denjenigen seiner Feinde, gegen den man mit Gefühlswerten sich erhitzen kann. Wir haben alle nur einen Feind! schrie das deutsche Volk und ereiferte sich unvernünftig gegen Napoleon, der wenigstens bisher noch keine Feindseligkeit zu erkennen gab. Daß die Austriaken ihre übel erworbene und mit unnützer Schärfe behauptete Fremdherrschaft über die Lombardei einbüßten, was keinen Deutschen etwas anging, erfüllte Michels Herz mit Entrüstung vaterländischen Stolzes. Die edlen deutschen Brüder wurden in Deutschland erst recht populär, als sie für Deutschland den Namen Tedeschi ihrer Kroaten und Heiduken für ewig in Italien verhaßt machten.
    Vielleicht wirkte der nagende Ärger über solche Verkennung und Michelei mit, daß er, auf der Rückreise nach Petersburg in Hohendorf bei Below Station machend, sofort wieder Unpäßlichkeit spürte.
    Als er in Reinfeld im Billardstübchen von Nanne Abschied nahm, hatte er sie lange umschlungen, wie in Ahnung eines Unheils. Er schrieb ihr aus Hohendorf: »Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer.« Nun war es zum Reisen schon zu spät im November, alle Wege verschneit, nur ein Teil der Strecke bis Petersburg mit eingleisigen Schienen belegt, alles übrige eine für Frau und Kinder unmögliche, halsbrecherische Kütschlifahrt. Da draußen die weite winterliche Welt!
    Von Osten her das Klingeln der Schlittenschellen, wo das heilige Rußland wie in Gogols Toten Seelen durch die Steppe fährt, von Westen das Schellen der Narrenkappe. Da feiern sie jetzt als Nationalfest den hundertjährigen Geburtstag Schillers. Sehr schön und auch nützlich für Emporlodern idealer Kräfte. Doch es bleibt bei tönenden

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