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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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verschiedene von Thun vorgeschlagene Auswege. Sodann schwang sich Thun zu dem Vorschlag auf: »Wissen's was, alter Freund? Ich werd' 'ne Entrevue zwischen Ihna und dem Rechberg verahnstalten. Auch a guter Freund von Ihna, denkt oft an Ihr schönes Zusammensein. Da wird sich alles, a–hles finden.«
    »Das wird mich freuen, ich bin bereit.«
    »Nur wissen's, da wird's wohl Präliminarien geb'n. Der Rechberg wird vorher eine gediegene Basis erwarten. Sie möchten Ihre Billigung zur Bundesreform vorher schriftlich geb'n. Eine gute, feine Reform, die alle Schwierigkeiten beseitigt.« Und er verbreitete sich über allerlei mögliche und unmögliche Dinge. »Der Karolyi ist auch so instruiert, vertraulich natürlich, streng vertraulich.«
    »Und Sie sind autorisiert?«
    »Habe die Erre.« Thun strahlte vor Biederkeit.
    »Dann tut mir herzlich leid, ablehnen zu müssen. Die gebotene Frist ist viel zu kurz, eingehende Verhandlungen müßten voraufgehen. Ich kann also mit Rechberg nur dann zusammenkommen, wenn er auf vorherige Abmachungen verzichtet.«
    Thun sah auf die Uhr. »Was Deixel! Ich muß zur Bahn. Schauen's, verehrte Exzellenz, mein lieber alter Freund, das Leben ist doch so kurz. Wozu gute Freinde sich zanken! Mann uhnd Frau priegeln sich auch, aber dahn, wo's Nacht wihrd ... wir sahn doch ahn einik Volk von Brüdern. Sie stahn halt fesch auf Ihrem Posten, doch wir auch, trotz aller schlampeten Gemütlichkeit. Die Delegiertenversahmlung am Bund ihst guet. Und wenn Sie uhns kein Äquivalent geb'n, nihments seinen Fortgang.« »Das gebe ich Ihnen bestimmt nicht. Das frohe Wiedersehen mit meinem Freunde Rechberg muß also unterbleiben.«
    Otto war ein melancholischer Dänenprinz, Thun dagegen tiefbewegt wie König Claudius.
    »Ah, quel malheur ! Und ich meinte es so gut. Leben Sie wohl, mein Teurer, dürft' ich sagen: Auf Wiedersehen! Doch in meinem Alter! In Petersburg lebt sich's sonst scharmant, meine Stellung dort ist extraordinairement bonne. Au revoir donc ! Ehrerbietigen Handkuß der Frau Gemahlin!« –
    Otto lachte sardonisch in sich hinein. Wenn er sich nur nicht schneidet! In Petersburg wird ihm eine Pastete gebacken, die er nicht essen mag. Das Eisen hab ich gut im Feuer. Ich höre schon Virchow krähen: »Er erniedrigt Preußen zum Vorposten des Moskowitertums.«
    Die Beschränktheit solcher Zellularpathologen ist wirklich pathologisch. Weil sie, halbverdreht von Spezialgelehrsamkeit, eine Muschel oder auch nur einen Wurm am Meeresstrande fanden, halten sie sich für Seefahrer erster Güte. Doch eine Nachwelt, die sich über Virchow ergötzt (Geheimrat Virchow, um Gottes willen, ein Student, der ihn nachher bloß Professor nannte, fiel bei diesem Radikalliberalen durch) und sich seines berühmten Spruches in London erinnert, daß wir gewiß noch erfahren werden, wie wir, denken – aber warum wir denken, die allein wichtige Frage wird von den Protoplasmaforschern vornehm ignoriert –, diese Nachwelt gibt sich selber Ohrfeigen. Denn den Fortschrittler Virchow ersetzten später Anthropologen voll biogenetischer Tiefforschung, die einen Otto Bismarck bewunderten, der nie existierte, ein Geschöpf ihrer eigenen biologischen Einbildung. Sie lösten die Welträtsel und thronten hocherhaben über jeder Metaphysik, ohne ihr Abc zu kennen, dies verdammt realistische Abc über die Hinfälligkeit der Sinneseindrücke, und hiermit jeder Mechanistik. Die Energetiker gründeten Monistenklöster, worin Faraday als hundertmal größerer Geist galt als Shakespeare, und schwatzten über Kunst wie Tertianer. Schuster, bleib bei deinem Leisten! Schwatze nicht, kleiner Insektensammler, über Adler hoch über dir, denen du kaum nachblinzelst mit deiner Spezialistenbrille! Michel aber kniet vor jedem professoralen Größenwahn wie vor alleinseligmachendem Dogma eines unfehlbaren Herrgotts, unmündige Halbbildung hält sogenannte Wissenschaft für geoffenbarte Allweisheit eines neuen Pfaffentums.
    Diese tiefste Erniedrigung des deutschen Geistes erlebte er nicht, sonst hätte Otto den ihm zweifellos anbetend übersandten Quark zum Fenster hinausgeschmissen. So sättigte er sich mit Schimpfen auf Virchow, während der wahrhaft große Helmholtz schweigend und bescheiden seinen Weg ging. Als diesen ein Privatdozent fragte: »Sie interessieren sich nicht für Politik, aber dieser Bismarck ist doch sicher ein Scheusal«, blickte das klare Auge des einsamen Wanderers, der auf Spaziergängen im Grunewald seine tiefste

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