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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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niemand ist befugt, mich zu unterbrechen.«
    Durch einen Höllenlärm drang erneut die Glocke des Präsidenten: »Ich unterbreche den Herrn Kriegsminister und entziehe ihm das Wort. Wenn der Präsident spricht, muß jeder ruhig sein, und jeder in diesem Haus, sei es hier unten unter uns oder oben in den Galerien, muß gehorchen. Wenn irgend etwas hier gegen die parlamentarische Hausregel verstoßen hätte, so wäre es mein Amt gewesen, es zu rügen. Doch ich konnte dies nicht tun, weil der Herr Vorredner in allem, was er sagte, im Recht war.« (Jubel auf der Linken, Zischen auf der Rechten.) »Und nun erteile ich dem Herrn Kriegsminister erneut das Wort.«
    Aber Roon lieh sich von einem verdammten Zivilisten nichts vorschreiben. Wütend schrie er heraus: »Ich bemerke, daß ich nochmals gegen das Recht protestiere, das der Herr Präsident sich gegen die Königliche Regierung usurpiert. Ich halte daran fest, daß die Autorität des Präsidenten, wie der Herr Ministerpräsident schon früher ausführte, bloß bis hierher reicht,« indem er auf den Gang vor der Ministerbank wies, »und nicht weiter.«
    Jetzt gab es eine Neuauflage des Turmbaues zu Babel, wo niemand mehr sein eigenes Wort verstand. Alle Abgeordneten sprangen von ihren Sitzen auf, und der Präsident bedeckte sich feierlich wie ein spanischer Grande oder ein sterbender Römer, der sich in seine Toga hüllt. Aber ach! Der Überbringer des Hutes hatte sich geirrt und einen anderen, viel zu großen geholt, der diesem unglücklichen Stoiker über beide Ohren bis zur Nase herunterfiel. Unauslöschliches Gelächter der paar Feudalen auf der Rechten ersäufte im allgemeinen Wutgeheul. Allseitiger Exodus ließ den Vorhang über die Tragikomödie fallen, doch historische Würde erwarb sich der Hut von Bockum-Dolffs.
    Ein ernstes Nachspiel folgte. Die Minister zogen sich zurück, und ihr Chef diktierte eine Erklärung: sie würden ihr Erscheinen einstellen, wenn ihnen nicht völlige Indemnität von der Präsidentendisziplin gewährleistet würde. Natürlich neuer Sturm. Das Haus antwortete mit grimmiger Behauptung der Disziplinarrechte und Brandmarkung des ministeriellen Verhaltens als gesetzwidrig. Es folgte eine Adresse an die Krone, worin ein Wechsel des Systems und der Personen gefordert wurde. Der König erwiderte mit gleicher Entschiedenheit, er billige das Verhalten der Minister, denen er seinen Dank ausdrücke, weise die Aufzählung ihrer angeblichen Sünden ab und schloß die Botschaft: »Mit Gottes Hilfe wird es mir doch gelingen, den verbrecherischen Versuch zu vereiteln, das Band zwischen Fürst und Volk zu lösen.« Und damit schickte er die Abgeordneten erneut heim wie ungezogene Schuljungen.
    Das hieß den Bogen überspannen. Die entlassenen Abgeordneten trugen die Entrüstung ins Land, in allen Städten mit Festbanketten gefeiert. Die Presse schlug eine unglaublich heftige Sprache an, während die Kreuzzeitung den König anbettelte, den Verfassungsschwindel zu beseitigen und sein persönliches Eigentum, nämlich den Absolutismus, zurückzunehmen. Dafür verglichen die liberalen Zeitungen den Ministerpräsidenten mit – Catilina!
    »Man tut ihm viel zu viel Ehre an«, urteilte der Abgeordnete Twesten, »er ist bloß ein Don Quichotte.«
    »Ein Seiltänzer ist er«, fauchte Virchow.
    »Und ein doppelzüngiger Verräter in Liga mit Napoleon«, gab ein Dritter seine unmaßgebliche Meinung kund.
    Die Bevölkerung, bisher der ehrwürdigen Erscheinung des Königs zugetan, fiel ab. Es kam die Zeit, wo man in den Straßen von Berlin den König nicht mehr grüßte, und jeder grüßende Zivilist angeblasen wurde: »Is wohl nur so'n Beamter!« Außer sich vor Entrüstung über die sich steigernden Kränkungen, ließen Fürst und Ministerium sich verleiten, am 1. Juni eine Ordonnanz (selbst den unglücklichen historischen Namen behielt man bei) zur Knebelung der Preßfreiheit zu erlassen. Das folgende Halbjahr gehörte in den Zeitungen den vielsagenden Gedankenstrichen, den vom Zensor unbedruckten oder geschwärzten Seiten, die durch ihre Leere erst recht aufreizend wirkten.
    Otto gestand sich heimlich die Übereilung zu. Wenn er mit Johanna in dem kleinen Garten hinter seiner Ministerwohnung Atem schöpfte, strich sie ihm liebevoll über das Gesicht: »Könnte ich nur die böse Falte wegbringen, Ottochen! Du wirst ja schon Meister gehen, wenn dein Gewissen dabei rein ist.« Die Zeit, wo sie jeden Liberalismus für Todsünde und jedes reaktionäre Gebaren für

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