Bismarck 04
bewunderte den deutschen Soldaten, sprach aber von deutscher Strategie nur »mit Hohn und Spott«. Wir bitten um Aufklärung, woher er den Mut zu solcher Kritik nahm. Über die »elende Führung« der Briten schienen Foch und Wright einig, doch im Grunde wuchsen die Herren ja alle auf einem Strauch. Nietzsche wollte mit »dem Hammer philosophieren«, sie aber verstanden überhaupt nichts als Hämmern. Was man nicht deklinieren kann, das sieht man als ein Neutrum an, und wo Begriffe fehlen, da stellt »Taktik« zur rechten Zeit sich ein. Doch was bis 1918 deutscherseits im Westen geschah, war meist ihrer würdig. Keine Zuspitzung im Osten entschuldigt, daß keine Kraftansammlung an den zwei strategisch wichtigsten Möglichkeitspunkten bei Mihiel und südlich Lys auch nur versucht wurde, erst durch Ludendorff 1918, was zugleich beweist, wie völlig richtig unsere durchgängige Anschauung darüber. Pedanterie unterband die Möglichkeit, rasch Reservemassen ins Feld zu stellen in gleichem Verhältnis wie England und Frankreich, die ihren Männerbestand bis aufs äußerste ausquetschten. Erst mußte jeder Knopf geputzt, jeder Stechschritt geübt, jede Kasernenstube gefegt sein, ehe das Kollegium militärischer Oberlehrer den in der Heimat Garnisonierten das consilium abeundi respektive die Matura für Feldreife erteilte. Wo es sich um Sein oder Nichtsein handelte, hätte man ganz anders »auskämmen« und mehrere Millionen mehr ins Lager schicken sollen. Ohne solche Waffen von kaum gedrillten Volksaufgeboten, da es doch weder an Gewehren noch Artillerie fehlte, waren rasche Erfolge unmöglich. Solche Reserven 14 Tage früher bei Ypern–Gent, Jahre früher bei Mihiel und an Lys hätten das Aussehen des Weltkrieges verändert, ganz gleichgültig, ob gedrillt oder nicht. Statt dessen fortwährend abgekämpfte Korps von anderen Fronten heranlotsen und in den rauchenden Kessel werfen, war leichtsinniges Hoffen auf irgendeinen taktischen Erfolgtreffer der unübertrefflichen Truppen. Die dauernd verdünnte Feindesmasse füllte sich dauernd wieder durch die letzten Wehrfähigen, England brachte fertig, sofort seine letzten 350 000 im Mai über den Kanal zu befördern, während Lud. kaum vom Auskämmen von 600 000 Wehrfähigen sprach, als Michel aus dem Häuschen geriet, wie die biederen Kieler Matrosen über die Zumutung von »Schurken« eine Seeschlacht zu schlagen! Frieden um jeden Preis! Der Preis kam freilich hundertmal höher zu stehen als die teils naiven, teils nichts weniger als naiven »Pazifisten« vorredeten.
Die Legende, bei Sieg unreifem Personenkult huldigend, denkt sich bei Mißerfolg auch Einzelpersonen als Organisatoren der Niederlage. Doch weder die Tüchtigkeit des Kronprinzen und des Prinzen Rupprecht noch die Untüchtigkeit anderer konnten das Endergebnis wesentlich beeinflussen. »Im Kriege sind die Menschen nichts, ein Mann ist alles« durfte nur Napoleon sagen, als unumschränkter Kriegsherr. Und wenn man einwendet, daß dieser eine Mann doch die Niederlagen seiner Unterführer nicht verhinderte, so fällt dies auf sein Schuldkonto. Aus Bequemlichkeit überließ er Kriegführung in Spanien getrennten Befehlshabern, die nicht mal unter dortigem Gesamtkommando standen. Hätte er in Deutschland die Nebenheere jüngeren Generälen anvertraut, statt sich an die Marschallsanciennität zu binden, so wären ihm jene Niederlagen, die ihm den Boden unterhöhlten, nicht zugestoßen. 1815 war die Grouchy-Operation, gegen die sich Soult sträubte, von vornherein gefährlich, wenn nicht ein sehr entschlossener Hellsichtiger sie leitete. Falsche Auswahl der Vollzugsorgane ist eine Sünde des Kriegsherrn. Nun hatte aber Deutschland im Weltkrieg den Nachteil, daß der nominelle Kriegsherr eine militärische Null war, doch keineswegs wie Wilhelm I. auf Einmischung verzichtete, die sich in Bevorzugung höfischer Streber bemerkbar machte. Loslösung des guten Korpschefs Mackensen als selbständigen Heerführer mit Feldmarschallsrang geschah hauptsächlich, um Ludendorffs Plan zu durchkreuzen und ihm keine weiteren Lorbeeren mehr zu gönnen. Daß man von Hindenburg auch noch Armee Leopold abtrennte, um wieder mal einen Prinzen in den Vordergrund zu rücken, bedeutete vielleicht ein Kompliment für die stets schwierigen Wittelsbacher, spottet aber auch so jeder gebührenden Kennzeichnung. Erfährt man gar, daß Hindenburgs ruhmgekrönter Stabschef zu Linsingens Stab degradiert werden sollte, was sich H. grimmig verbat, so
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