Bismarck 04
Augenblicksmenschen. Zerstörtes Ansehen bedeutete zerstörten Kredit, das beispiellose Valuta-Kunststück – reine Fiktion, denn Deutschlands wahres Nationalvermögen blieb unversehrt – hat Wallstreet uns aufgehalst als Blankowechsel auf unsere Erbärmlichkeit. Wohl predigte der entschlossene Rathenau Nationalverteidigung, doch Lud. winkte eiligst ab, das paßte den Militaristen so wenig wie demokratischen Strebern, die nur im »Frieden« ihr Kraut blühen sahen. Sie stellen das alte wie das neue System ihrer Partei- und Kasteninteressen immer über das Vaterländische. Die Einsicht, daß der Weltkrieg von allen Völkern, nicht nur von den Angelsachsen, mehr oder minder mit Milizen, d. h. Volksaufgeboten durchfochten wurde, weil die Aktiven schon im ersten Kriegsjahr zusammenschrumpften, und daß ein soldatisch veranlagtes Volk wie das deutsche wesentlich mit Landwehr und aktiviertem Landsturm (alle neugebildeten »Infanterieregimenter« bis zur höchsten Nummer) den russischen Riesentolpatsch niederzwang, daß also einzig dem Milizsystem, d. h. dem wahren Volksheer die Zukunft gehört, muß man von unseren Militaristen nicht hoffen. Sie drehen immer noch ihr altes Garn, siehe ergötzliche Manifeste des »Ehrendoktor« Freytag-Loringhofen, der allgemeine Kasernenmilitarisierung empfahl. Aber hätte die levée en mass bei uns Früchte getragen? Danton und der Wohlfahrtsausschuß hatten ihren Hauptmann Carnot als obersten Kriegsleiter, Frankreich findet immer einen Gambetta-Freycinet, England einen Cromwell, Deutschland wohl nie. Der Zopf hängt ihm immer hinten, sein Professor fühlte sich als geistiger Drilloffizier, sein Offizier als Professor Ordinarius. Alles, was nicht in Reih und Glied marschiert, wird relegiert. So bleibt es unter jedem System, wenn nicht der Himmel ein Einsehen hat und den Schlendrian Bürokratius gewaltsam entfernt.
Hätten wir beide Arme frei gehabt, so wäre im West oder Ost jeder Feind zu Boden geschlagen. Doch auch im Zweifrontenkrieg ermöglichte die Natur, indem sie Deutschland auf die innere Linie stellte, abwechselnd nach West und Ost Schläge auszuteilen. Nur dann wird innere Linie zum Unheil, wenn man sie nicht rechtzeitig offensiv handhabt, nur durch Schnelligkeit erwirbt sie ihren unfehlbaren Vorteil, insofern darf man die anfängliche Doppeloffensive nach West und Ost billigen. Innere wie äußere Linien bleiben für Stümper die gleiche Gefahr, äußere aber stets von zweifelhaftem Wert. 1813 zerbrach Napoleons inneres Dreieck nicht durch Zwickmühle der Gegner, sondern Blüchers Hartschädel. Wenn daher Jomini meint, bei sehr großen Massen sei innere Linie kaum anwendbar, so sucht er nach falschen maschinellen Gründen, denn das damalige Phänomen erklärte nur dynamisch-moralische Ursachen. Jedenfalls blieben im Weltkrieg die äußeren Ententelinien an sich unfruchtbar, und wenn der größte aller Kriege weniger Kunstmaterial als irgendein anderer wenigstens im Westen lieferte, so bekräftigt er immerhin, daß innere Linie bei richtiger Anwendung stets Erfolg verbürgt. Napoleon tadelte herb Friedrichs konzentrische Torgau-Operation, beging aber bei Bautzen Gleiches, wo sein Seitenheer zu spät die Feindesflanke beklopfte, die sich dem Griff entzog. Ein Entschlossener benutzt sogar Nichtzusammenstimmen getrennter Kolonnen zu zentralem Durchbruch. Der Weltkrieg kennt strategisch wie taktisch nur Zentralstöße, nur innere Umfassung, deren Schnitt einen Flügel abtrennt oder gar beide (Tannenberg) fruchtet. Nicht äußerliches Getrenntmarschieren unterscheidet sich von Geschlossenheit, sondern ob es auf äußerem (Moltke) oder innerem Radius erfolgt, siehe Napoleon Oktober 1806 und April 1809, was Freytag höchst verworren für Gleichartigkeit beider Methoden ausgab. Nur genauer innerer Zusammenhang ermöglicht, sich nach Bedarf vor , nicht im Feind zu vereinen. Unser Aufmarsch 1914 vereitelte dies, Verschiebungsumgruppierungen verliefen nachher zeitraubend und kraftlähmend.
Der geistreiche französisch« Militär Dervieu nannte Moltke den Älteren einen militärischen Großindustriellen. Er beherzigte Erfahrungen des amerikanischen Bürgerkriegs, doch versagen Eisenbahn und Telegraph oft im Feindesland durch Störungen. Des Telephons bediente man sich im Weltkrieg gut, durch Funksprüche versehene Adjutantendienste nur in schüchternen Anfängen, dieser neue Zweig der Kriegstechnik war im deutschen Betrieb nicht genügend vorbereitet. (Beiläufig trifft man
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