Bis(s) 1 - Bis(s) zum Morgengrauen
Schicksal herauszufordern. Seufzend faltete ich sie über meinem Arm und trat hinaus in das hellste Licht, das ich seit Monaten gesehen hatte.
Ich musste ein wenig Gewalt anwenden, aber es gelang mir, beide Fenster des Transporters fast vollständig herunterzukurbeln. Ich war eine der Ersten in der Schule; ich hatte es so eilig gehabt, nach draußen zu kommen, dass ich gar nicht auf die Zeit geachtet hatte. Ich parkte und ging zu den selten benutzten Pausenbänken hinter der Cafeteria. Sie waren noch ein wenig feucht, also setzte ich mich auf meine Jacke, die so auch zu etwas gut war. Meine Hausaufgaben waren – dank meines stagnierenden Soziallebens – eigentlich erledigt, doch es gab ein paar knifflige Gleichungen in Mathe, bei denen ich mir nicht sicher war. Ich holte mein Buch aus der Tasche, aber noch während ich die erste Aufgabe durchging, träumte ich schon vor mich hin und betrachtete versunken das Spiel des Sonnenlichtes auf der roten Rinde der Bäume. In Gedanken kritzelte ich am Rand meiner Hausaufgaben herum. Nach ein paar Minuten bemerkte ich, dass ich fünf dunkle Augenpaare gezeichnet hatte, die vom Blatt zu mir hochstarrten. Ich radierte sie aus.
»Bella!«, hörte ich jemanden rufen; es klang ganz nach Mike. Ich schaute mich um; während ich hier gedankenverloren saß, hatte sich das Schulgelände mit Leben gefüllt. Alle trugen T-Shirts, einige sogar kurze Hosen, obwohl es kaum wärmer als siebzehn oder achtzehn Grad sein konnte. Mike winkte und kam in khakifarbenen Shorts und einem gestreiften Rugby-Shirt auf mich zu.
»Hey, Mike«, rief ich und winkte zurück – an einem Morgen wie diesem war ich zum Überschwang geradezu verdammt.
Er setzte sich zu mir; die akkurat gegelten Stacheln seiner Haare schimmerten golden in der Sonne, und er grinste wie ein Honigkuchenpferd. Er war so glücklich, mich zu sehen, dass ich gar nicht anders konnte, als mich darüber zu freuen.
»Ist mir noch nie aufgefallen, dass deine Haare einen Rotstich haben«, stellte er fest und nahm eine Strähne zwischen seine Finger, die von der leichten Brise nach vorn geweht worden war.
»Nur in der Sonne.«
Als er die Locke hinter mein Ohr steckte, war mir das ein bisschen unangenehm.
»Super Wetter, oder?«
»So, wie ich es mag«, sagte ich.
»Was hast du denn gestern gemacht?« Sein Ton war etwas zu besitzergreifend.
»Hauptsächlich an meinem Aufsatz geschrieben.« Ich erwähnte nicht, dass er schon fertig war – kein Grund zur Überheblichkeit.
Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Der Aufsatz, stimmt – bis Donnerstag, oder?«
»Äh, bis Mittwoch, glaub ich.«
»Mittwoch?« Er runzelte die Stirn. »Das ist nicht gut … Worüber schreibst du deinen?«
»Darüber, ob Shakespeares Darstellung von weiblichen Figuren frauenfeindlich ist.«
Er schaute mich verständnislos an.
»Ich nehm an, ich werd mich da heute Abend ransetzen müssen«, sagte er trübsinnig. »Ich wollte dich eigentlich fragen, ob wir mal zusammen ausgehen.«
»Oh.« Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Warum war es nicht mehr möglich, nett mit Mike zu plaudern, ohne dass es irgendwann unbehaglich wurde?
»Ich meine, wir könnten was essen gehen oder so … und ich könnte dann später noch schreiben.« Er lächelte mich hoffnungsvoll an.
»Mike …« Ich hasste es, so in die Enge getrieben zu werden. »Ich glaub nicht, dass das so eine gute Idee wäre.«
Er machte ein langes Gesicht. »Warum?«, fragte er. Sein Blick war wachsam. Mich durchzuckte der Gedanke an Edward, und ich fragte mich, ob es ihm genauso ging.
»Ich glaube … und wenn du irgendwas von dem, was ich dir jetzt sage, weitererzählst, schlage ich dich tot, ohne mit der Wimper zu zucken«, drohte ich – »also, ich glaube, das würde Jessica verletzen.«
Er war verdattert; an so etwas hatte er offensichtlich noch gar nicht gedacht. »Jessica?«
»Ehrlich, Mike, bist du blind ?«
»Oh«, murmelte er, eindeutig verwirrt. Ich nutzte das aus und stand auf.
»Wir müssen los, ich kann nicht schon wieder zu spät kommen.« Ich sammelte meine Bücher zusammen und stopfte sie in meine Tasche.
Schweigend gingen wir zu Haus drei; seine Miene verriet, dass er in Gedanken versunken war. Welcher Art sie auch waren – ich hoffte, dass sie ihm die richtige Richtung wiesen.
Als ich in Mathe Jessica traf, sprühte sie vor Begeisterung. Sie, Angela und Lauren hatten beschlossen, nach der Schule nach Port Angeles zu fahren, um sich Kleider für den
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