Bis(s) 2 - Bis(s) zur Mittagsstunde
alles so zu belassen, wie es war … war das grausam, wie Mike mir vorgeworfen hatte?
Ich dachte daran, dass ich mir einmal gewünscht hatte, Jacob wäre mein Bruder. Jetzt wurde mir klar, dass ich ihn einfach für mich haben wollte. Es fühlte sich nicht brüderlich an, wenn er mich so hielt wie jetzt. Es fühlte sich nur schön an – warm und tröstlich und vertraut. Sicher. Jacob war ein sicherer Hafen.
Ich konnte ihn für mich haben. Es stand in meiner Macht.
Ich müsste ihm alles erzählen, das wusste ich. Sonst wäre es unfair. Ich müsste es richtig erklären, damit er begriff, dass ich nicht zur Ruhe kommen würde, dass er viel zu gut für mich war. Dass ich kaputt war, wusste er ja schon, das würde ihn nicht überraschen, aber er musste wissen, wie kaputt. Ich müsste sogar eingestehen, dass ich verrückt war – ihm von Edwards Stimme erzählen. Er müsste alles erfahren, bevor er seine Entscheidung traf.
Aber selbst wenn ich das bedachte, wusste ich, dass er mich trotzdem nehmen würde. Er würde sich noch nicht mal die Zeit nehmen, darüber nachzudenken.
Wäre es so falsch, wenn ich versuchte, Jacob glücklich zu machen? Selbst wenn die Liebe, die ich für ihn empfand, nur ein schwaches Echo dessen war, was ich empfinden konnte, selbst wenn mein Herz weit weg war und meinem flatterhaften Romeo nachtrauerte, wäre es so verkehrt?
Jacob hielt vor unserem dunklen Haus und schaltete den Motor ab. Ganz plötzlich war es still. Wie so oft schien er mit meinen Gedanken im Einklang zu sein.
Er nahm mich in die Arme, drückte mich an seine Brust, umschlang mich. Es fühlte sich schön an. Fast so, als wäre ich wieder ein ganzer Mensch.
Ich hatte geglaubt, er dächte an Harry, aber dann sagte er: »Entschuldige. Ich weiß, dass du nicht so empfindest wie ich, Bella. Ich schwöre dir, es ist mir egal. Ich bin einfach so froh, dass dir nichts passiert ist – ich könnte singen, aber das will keiner hören.« Er lachte mir sein kleines kehliges Lachen ins Ohr.
Mein Atem ging einen Tick schneller, und in meinem Hals scheuerte es.
Würde Edward, bei aller Gleichgültigkeit, die er womöglich empfand, nicht auch wollen, dass ich so glücklich war, wie es unter den Umständen möglich war? Oder hatte er nicht mal mehr so viel für mich übrig, dass er mir das wünschte? Doch, das würde er mir bestimmt gönnen: dass ich einen kleinen Teil der Liebe, die er nicht haben wollte, meinem Freund Jacob gab. Schließlich war es nicht dieselbe Liebe.
Jacob legte seine warme Wange an mein Haar.
Wenn ich das Gesicht jetzt zur Seite drehen, wenn ich die Lippen an seine nackte Schulter drücken würde … ich wusste ganz genau, wie es dann weitergehen würde. Heute Abend würde ich nichts mehr erklären müssen.
Aber konnte ich das tun? Konnte ich mein Herz verraten, um mein armseliges Leben zu retten?
Ich hatte Schmetterlinge im Bauch, als ich daran dachte, den Kopf zu drehen.
Und dann hörte ich Edwards Samtstimme, genauso deutlich, als ob ich in Gefahr schwebte.
»Sei glücklich«, flüsterte er.
Ich erstarrte.
Jacob spürte, dass ich mich steif machte, ließ mich los und öffnete die Tür.
Warte , wollte ich sagen. Einen Moment . Aber ich war immer noch wie gebannt und lauschte auf das Echo von Edwards Stimme in meinem Kopf.
Die Luft, die in den Transporter wehte, war vom Sturm abgekühlt.
»Oh!«, e ntfuhr es Jacob, als hätte ihm jemand in den Magen geboxt. »Verdammter Mist!«
Er schlug die Tür zu und drehte im selben Moment den Schlüssel im Zündschloss herum. Ich fragte mich, wie er das überhaupt schaffte, so sehr zitterten seine Hände.
»Was ist?«
Er gab zu schnell Gas, der Motor stotterte und erstarb.
»Vampir«, stieß er hervor.
Das Blut wich mir aus dem Kopf und mir wurde schwindelig. »Woher weißt du das?«
»Weil ich es rieche! Verdammt!«
Mit wütendem Blick suchte er die Straße ab. Er schien die Zuckungen, die durch seinen Körper liefen, kaum zu bemerken. »Soll ich mich verwandeln oder sie hier rausbringen?«, zischte er vor sich hin.
Den Bruchteil einer Sekunde schaute er mich an, sah meinen panischen Blick und mein weißes Gesicht und suchte dann wieder die Straße ab. »Okay. Ich bring dich hier raus.«
Der Motor sprang röhrend an. Mit quietschenden Reifen wendete Jacob und steuerte unsere einzige mögliche Zuflucht an. Die Scheinwerfer fluteten über den Asphalt, erleuchteten den Saum des schwarzen Waldes und strahlten plötzlich von einem Wagen zurück, der gegenüber
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