Bis(s) 3 - Bis(s) zum Abendrot
glaube, auch er hat die Lücken ausgenutzt. Ist es wahrscheinlich, dass zwei verschiedene Personen zum einen so viel über dich wissen, dass sie das schaffen, und sich zum anderen genau gleichzeitig dazu entschlossen haben? Nein, unmöglich. Es handelt sich um ein und dieselbe Person. Derjenige, der die Armee zusammenstellt, hat auch meinen Geruch geklaut.«
Alice war es nicht gewohnt, überrascht zu werden. Sie stand so lange reglos da, dass ich im Kopf anfing zu zählen. Ganze zwei Minuten lang rührte sie sich nicht. Dann sah sie mich wieder an.
»Du hast Recht«, sagte sie, und ihre Stimme klang hohl. »Natürlich hast du Recht. Und wenn du es so sagst …«
»Edward lag daneben«, flüsterte ich. »Es war ein Test … um zu sehen, ob es funktioniert. Ob er problemlos kommen und gehen kann, wenn er nichts macht, worauf du achtest. Wie zum Beispiel mich zu töten … Und er hat meine Sachen nicht zum Beweis mitgenommen, dass er mich gefunden hat. Er hat meinen Geruch gestohlen … damit andere mich finden können.«
Mit schreckensgeweiteten Augen sah sie mich an. Ich hatte Recht und ich sah ihr an, dass sie es auch wusste.
»O nein«, sagte sie tonlos.
Ich rechnete schon lange nicht mehr damit, dass meine Gefühle irgendwie nachvollziehbar waren. Und als ich begriff, dass jemand eine Armee von Vampiren geschaffen hatte – die Armee, die schon Dutzende von Menschen in Seattle abgeschlachtet hatte –, nur um mich zu töten, da war ich auf einmal erleichtert.
Teilweise lag es daran, dass ich endlich das unangenehme Gefühl los war, etwas Entscheidendes zu übersehen.
Doch es gab noch einen wichtigeren Grund.
»Tja«, flüsterte ich. »Dann können sich ja jetzt alle zurücklehnen. Niemand versucht die Cullens zu vernichten.«
»Wenn du glaubst, das würde irgendetwas ändern, bist du schiefgewickelt«, sagte Alice mit zusammengebissenen Zähnen. »Wer es auf eine von uns abgesehen hat, muss es mit uns allen aufnehmen.«
»Danke, Alice. Aber wenigstens wissen wir jetzt, auf wen sie es abgesehen haben. Das hilft uns doch sicher weiter, oder?«
»Vielleicht«, sagte sie leise. Sie ging in meinem Zimmer auf und ab.
Bumm, bumm – jemand hämmerte mit der Faust an meine Tür.
Ich zuckte zusammen. Alice schien es gar nicht zu bemerken.
»Bist du noch nicht fertig? Wir kommen zu spät!« Charlie klang nervös. Er hatte eine ähnliche Abneigung gegen Feierlichkeiten wie ich. Und er hasste es, sich schick machen zu müssen.
»Fast. Einen Moment noch«, sagte ich heiser.
Er schwieg eine Weile. »Weinst du?«
»Nein. Ich bin nur aufgeregt. Geh weg!«
Ich hörte ihn die Treppe hinunterstapfen.
»Ich muss los«, flüsterte Alice.
»Wieso?«
»Edward kommt. Wenn er das hört …«
»Los, geh!«, drängte ich. Edward würde ausrasten, wenn er das erfuhr. Ich konnte es sowieso nicht lange vor ihm verheimlichen, aber vielleicht musste er es nicht ausgerechnet auf der Abschlussfeier erfahren.
»Zieh dich um«, befahl sie und huschte zum Fenster hinaus.
Benommen gehorchte ich.
Eigentlich hatte ich noch irgendwas Besonderes mit meinen Haaren anstellen wollen, aber dafür war jetzt keine Zeit mehr. Also hingen sie glatt und langweilig herunter wie an jedem anderen Tag auch. Egal. Ich schaute nicht in den Spiegel, also wusste ich nicht, wie mir die Kombination aus Rock und Pulli von Alice stand. Auch das war egal. Ich warf die hässliche gelbe Polyesterrobe, die wir zum Abschluss tragen mussten, über den Arm und lief schnell die Treppe hinunter.
»Hübsch siehst du aus«, sagte Charlie, nervös vor unterdrückter Aufregung. »Hast du das neu?«
»Ja«, murmelte ich und versuchte mich zu konzentrieren. »Danke. Hat Alice mir geschenkt.«
Edward kam kurz nachdem seine Schwester gegangen war. Nicht genug Zeit, um mich zusammenzureißen. Aber da wir mit Charlie im Streifenwagen saßen, hatte Edward keine Gelegenheit, mich auszufragen.
Als Charlie letzte Woche erfahren hatte, dass ich mit Edward zur Abschlussfeier fahren wollte, hatte er sich quergestellt. Und ich konnte ihn verstehen – an diesem Tag hatten die Eltern auch ein Wörtchen mitzureden. Ich hatte bereitwillig eingelenkt, und Edward hatte fröhlich vorgeschlagen, er könnte ja mit uns zusammen fahren. Da Carlisle und Esme einverstanden waren, konnte Charlie nichts dagegen einwenden, widerwillig hatte er zugestimmt. Und jetzt saß Edward im Polizeiauto meines Vaters auf der Rückbank, hinter der Trennwand aus Plexiglas. Er sah belustigt
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