Bis(s) 3 - Bis(s) zum Abendrot
verunstaltete, gebrochene Hände – formten sich zu Klauen. Er riss den Mund weit auf, seine Zähne blitzten, er wollte Seth die Kehle herausreißen.
Ein zweiter Adrenalinstoß fuhr mir durch den Körper wie ein elektrischer Schlag, und auf einmal war alles ganz klar.
Die beiden Kämpfe waren zu ausgewogen. Seth war im Begriff zu verlieren, und ich hatte keine Ahnung, ob Edward gewinnen oder verlieren würde. Sie brauchten Hilfe. Eine Ablenkung. Etwas, was ihnen einen Vorteil verschaffte.
Ich hielt den spitzen Stein so fest, dass eine Klammer meiner Schiene brach.
War ich stark genug? War ich mutig genug? Wie fest konnte ich den rauen Stein in meinen Arm stoßen? Würde Seth dadurch genügend Zeit gewinnen, um wieder auf die Füße zu kommen? Würden seine Wunden schnell genug heilen, dass mein Opfer ihm etwas nützte?
Mit der Spitze des Steins fuhr ich an meinem Arm hoch und riss den dicken Pulli damit auf, dann drückte ich sie in die Armbeuge. Dort hatte ich schon eine lange Narbe von meinem letzten Geburtstag. An jenem Abend hatte ich mit meiner blutenden Wunde die Aufmerksamkeit aller Vampire auf mich gezogen, hatte sie alle für einen Augenblick erstarren lassen. Ich betete, dass es auch diesmal funktionierte. Ich riss mich zusammen und holte tief Luft.
Dieses Geräusch lenkte Victoria ab. Für den Bruchteil einer Sekunde verharrte ihr Blick und traf meinen. Eine seltsame Mischung aus Wut und Neugier lag darin.
Ich wusste nicht, wie ich unter all den Geräuschen, die von der Felswand widerhallten und in meinem Kopf hämmerten, ein einziges leises Geräusch wahrnehmen konnte. Mein eigener Herzschlag hätte es übertönen müssen. Doch in dem winzigen Augenblick, in dem ich Victoria anschaute, meinte ich ein vertrautes, ärgerliches Seufzen zu hören.
In diesem Moment brach der Tanz gewaltsam auseinander. Es ging so schnell, dass es vorbei war, noch ehe ich es richtig mitbekam. Ich versuchte es zu rekonstruieren.
Victoria war aus der Choreographie ausgebrochen und auf eine hohe Fichte gesaust. Als sie auf halber Höhe war, sprang sie schon wieder hinunter und duckte sich zum Angriff.
Gleichzeitig war Edward – so schnell, dass er nahezu unsichtbar war – herumgewirbelt und hatte den ahnungslosen Riley am Arm gepackt. Es sah so aus, als ob er ihm gleichzeitig den Fuß in den Rücken stieß und zog …
Rileys Schmerzensschrei hallte über die kleine Lichtung.
In dem Augenblick sprang Seth auf und versperrte mir die Sicht.
Aber Victoria konnte ich immer noch sehen. Und obwohl sie eigenartig missgestaltet aussah – als könnte sie sich nicht ganz aufrichten –, sah ich das Lächeln, von dem ich immer geträumt hatte, über ihr wütendes Gesicht huschen.
Sie spannte die Muskeln an und sprang.
Etwas Kleines, Weißes zischte durch die Luft und prallte mitten im Flug mit ihr zusammen. Es klang wie eine Explosion, und sie wurde gegen einen Baum geschleudert – mit einer solchen Wucht, dass der Baum sich spaltete. Sie landete wieder auf den Füßen, zum nächsten Sprung geduckt, aber Edward stand schon wieder. Ich war unendlich erleichtert, als ich sah, dass er unversehrt war.
Victoria stieß etwas mit dem nackten Fuß beiseite – das Wurfgeschoss, das ihren Angriff vereitelt hatte. Es rollte auf mich zu und ich sah, was es war.
Mir drehte sich der Magen um.
Die Finger zuckten noch und griffen nach vereinzelten Grashalmen, herrenlos begann sich Rileys Arm über den Boden zu ziehen.
Seth umkreiste Riley wieder, und jetzt war Riley auf dem Rückzug. Er wich vor dem angreifenden Werwolf zurück, das Gesicht starr vor Schmerz. In einer abwehrenden Geste hob er den verbliebenen Arm.
Seth scheuchte Riley vor sich her, der Vampir war aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich sah, wie Seth ihm die Zähne in die Schulter schlug und riss.
Mit einem ohrenbetäubenden metallischen Kreischen verlor Riley seinen zweiten Arm.
Seth schüttelte den Kopf und warf den Arm in den Wald. Dabei stieß er ein brüchiges Zischen aus, das wie ein Kichern klang.
»Victoria!«, schrie Riley gequält.
Victoria zuckte beim Klang ihres Namens noch nicht einmal zusammen. Nicht einen Moment wandte sie den Blick zu ihrem Gefährten.
Mit der Wucht einer Abrissbirne stürzte sich Seth nach vorn. Sowohl Seth als auch Riley wurden in die Bäume geschleudert, und von dort ertönte ein Gemisch aus metallischem Kreischen und Rileys Schreien. Die Schreie verstummten plötzlich, während das Geräusch von Gestein, das zerbrochen
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