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Biss der Wölfin: Roman

Biss der Wölfin: Roman

Titel: Biss der Wölfin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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schlängelte sich zwischen einer Bucht auf der einen Seite und Bergen und Tälern auf der anderen dahin. In der Dunkelheit kurz vor Tagesanbruch war der Eindruck ehrfurchtgebietend – die Endlosigkeit, das unruhige Wasser und die aufragenden Berge, die verschneiten Wiesen und Wälder.
    Die Straße war nicht leer. Ein stetiger Strom von Scheinwerfern kam uns entgegen, Pendler auf dem Weg zur Arbeit nach Anchorage. Was nun die Frage anging, wo diese Pendler herkamen – ich hatte keine Vorstellung. Es gab jedenfalls keine Vororte, nicht, so weit ich sehen konnte – nur hin und wieder ein Schild, das auf die Existenz einer unsichtbaren Siedlung am Ende einer langen dunklen Straße hinwies.
    Irgendwann bogen wir in eine dieser langen dunklen Straßen ein. Clay fuhr noch eine Meile weiter, fand etwas, das wie eine Zufahrt aussah, und parkte an ihrem Rand.
    Ich sprang aus dem Auto … und versank bis zu den Knien in dem weißen Zeug. Die Luft allerdings war nicht so schneidend kalt, wie ich befürchtet hatte. Ich war in diesem Winter bereits in Winnipeg gewesen, wo die Temperaturen um die minus dreißig Grad Celsius erreicht hatten, und im Vergleich dazu erschien mir dies nicht kälter als Pittsburgh.
    Wenigstens war ich der Jahreszeit entsprechend angezogen; ich hatte Stiefel, eine Daunenjacke, Mütze und Handschuhe im Gepäck. Clay, der gerade aus Atlanta kam, hatte weniger Glück. Ich hatte am Flughafen eine Wintermütze für ihn mitgenommen, aber er trug sie nur, um mir einen Gefallen zu tun. Kaltes Wetter schien Clay nichts auszumachen. Ich scherzte immer gern darüber, dass er in dieser Hinsicht wirklich etwas von den Werwölfen aus mittelalterlichen Legenden hatte, bei denen der Pelz unter der Haut versteckt blieb.
    Wir ließen unsere Wertsachen – Uhren, Brieftaschen, Trauringe – im verschließbaren Handschuhfach zurück und machten uns durch den tiefen Schnee auf den Weg. Wäre ich gezwungen gewesen, durch dieses Zeug zu stapfen, hätte ich bei jedem einzelnen Schritt geflucht. Aber weil ich es freiwillig tat und als Auftakt zu etwas, auf das ich mich freute wie ein Kind, störte es mich nicht im Geringsten – ich lachte und stolperte, packte Clay und zerrte ihn mit nach unten, wenn ich fiel, wurde zur Strafe mit dem Gesicht voran in eine Schneewehe geschleudert, revanchierte mich …
    Wir brauchten uns nicht weit von der Straße zu entfernen, um uns zu wandeln, aber wir brauchten eine ganze Weile, um hinzukommen.
    Die Gegend war waldig genug, dass wir uns jeweils ein eigenes Dickicht suchen konnten. Ich war endlich über das Stadium hinaus, in dem ich auf derlei bestanden hatte, obwohl ich nach wie vor verlange, dass Clay sich wegdreht, wenn wir es gemeinsam tun. Ich halte mich nicht für sonderlich eitel, aber ich bin wirklich nicht scharf darauf, dass jemand mich mitten in der Wandlung zu sehen bekommt, nicht einmal, wenn es Clay ist.
    Ich zog mich aus und schob meine Kleider in die Plastiktüte, die ich mir am Flughafen mitgenommen hatte. Und dann wurde es kalt – richtig scheißkalt. Als ich auf alle viere ging und bis zu den Brüsten im Schnee versank, rang ich keuchend nach Atem.
    Es dauerte ein paar Momente, bis ich mich hinreichend entspannt hatte, um mit der Wandlung zu beginnen, aber sobald sie einmal eingesetzt hatte, war die Kälte mein geringstes Problem. Mein Körper wird von dem eines Menschen zu dem eines Wolfs; mit einem Kitzeln ist das nicht getan. Als die Zwillinge zur Welt kamen, habe ich festgestellt, dass eine Wandlung dem Gebärvorgang gar nicht unähnlich ist, außer dass man das Stadium der einsetzenden Wehen überspringt und gleich mit den »Was hab ich mir eigentlich dabei gedacht?!«-Schmerzensschreien anfängt. Wenn man einmal akzeptiert hat, dass dies ein natürlicher Vorgang ist und die Natur schon für seinen ordnungsgemäßen Verlauf sorgen wird, beißt man die Zähne zusammen und erträgt es; man weiß, es wird bald überstanden sein, und wenn es vorbei ist, wird die Belohnung es wert sein.
    Und somit ertrug ich die zerreißende, knochenkrachende Folter der Wandlung mit kaum mehr als dem einen oder anderen Grunzen und Wimmern, wie ich es seit nunmehr zwanzig Jahren mindestens einmal pro Woche getan hatte. Als es vorbei war, fiel ich auf die Seite und keuchte, die Schnauze im Schnee vergraben, um mich abzukühlen.
    Sobald ich wieder etwas zu Atem gekommen war, stand ich langsam auf. Die Schmerzen waren jetzt nur noch Erinnerung, aber ich ließ mir trotzdem Zeit, um

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