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Biss sagt mehr als tausend Worte

Biss sagt mehr als tausend Worte

Titel: Biss sagt mehr als tausend Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Moore
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die Sprache und das menschliche Denken beherrschen, bevor er Jody gegenübertrat. Außerdem hoffte er, seine Erinnerung würde mit den Worten wiederkehren, doch das schien nicht zu funktionieren. Er erinnerte sich an ein dunkelrotes Hungergefühl in seinem Kopf und dass er aus dem Fenster geflogen und auf der Straße gelandet war, doch was zwischen diesem Ereignis und dem Moment, als er im Keller mit Hilfe des Kaisers die Sprache wiederfand, geschehen war, davon wusste er kaum etwas. Es kam ihm vor, als wären seine Erlebnisse — die
Jagd, die Suche nach Schutz an dunklen Orten, das Fliegen in der Raubtierwolke durch die Stadt — in einem Teil seines Verstandes einsortiert, der sich einem verschloss, sobald man wieder in der Lage war, eine Verbindung zwischen Worten und Bedeutungen herzustellen. Er ging davon aus, dass er Chet geholfen hatte, Menschen zu töten, aber wieso hatte er dann den Kaiser gerettet?
    Glücklicherweise besaß er noch die Fähigkeit, sich in Nebel zu verwandeln, und so war er zu seinem momentanen Outfit gekommen. Das komplette Ensemble — Khaki-Hose, blaues Oxford-Leinenhemd, Lederjacke und lederne Segel-schuhe —hatte er im Schaufenster eines Herrenausstatters am Union Square gefunden. Es war mit Hilfe einer Angelschnur zu einem lässigen Leinengespenst arrangiert, welches andere, ebenso modische, wenn auch substanzlose Marionetten heimsuchte, die auf Liegestühlen und Kunstsand drapiert waren. Am frühen Abend, als im Laden am meisten zu tun war, strömte Tommy unter der Tür hinein, schlüpfte direkt ins Outfit und wurde körperlich. Er ging kurz in die Hocke, was die Leinen kappte, und spazierte voll bekleidet aus dem Laden, mit einem Stück Angelleine im Schlepptau. Es wäre das dreisteste, coolste Ding gewesen, das er je gedreht hatte, wären da nicht die Stecknadeln gewesen, mit denen das Hemd an der Hose befestigt war. Doch nach einem kleinen epileptischen Anfall mitten auf dem Bürgersteig, bei dem er sich die Nadeln aus Rücken, Hüften und Unterleib zog und dabei rhythmisch »Autsch, autsch, autsch, autsch« rief, wurde er wieder der lässig lockere, in Leinen gekleidete Vampir, den er gern darstellen wollte. Er wartete, bis er in der Bibliothek war, im Magazin, um die Pappe aus seinem Kragen
zu entfernen und diverse Schilder abzureißen. Zum Glück waren an den Ausstellungsstücken keine Sicherungsetiketten befestigt.
    Jetzt war er bereit, oder zumindest so bereit, wie er sein konnte. Er musste zu Jody, auf der Stelle, sie umarmen, ihr sagen, dass er sie liebte, sie küssen, sie vögeln, bis alle Möbel zu Bruch gegangen waren und die Nachbarn sich beschwerten (untotes Raubtier oder nicht, war er doch erst neunzehn Jahre alt und notgeil), und sich dann überlegen, wie ihre Zukunft aussehen sollte.
    Als er durch das Tenderloin zurücklief, in seinem »Bitte-überfall-mich-White-Boy«-Outfit, versuchte ein verängstigter Crackhead in einem Kapuzenpulli, der früher mal grün gewesen sein musste, jetzt aber so speckig war, dass er glänzte, ihn mit einem Schraubenzieher zu überfallen.
    »Gib mir dein Geld, Arschloch!«
    »Das ist ein Schraubenzieher«, sagte Tommy.
    »Ja. Gib mir dein Geld, oder ich stech dich damit ab.«
    Tommy hörte das Herz des Crackheads flattern, roch den beißenden Gestank faulender Zähne, alten Schweiß, die vollgepissten Kleider, und er sah die ungesunde, dunkelgraue Aura. In seinem Raubtierhirn blitzte ein Wort auf: Beute .
    Tommy zuckte mit den Schultern. »Ich trage eine Lederjacke. Einen Schraubenzieher kriegst du da nicht durch.«
    »Das weißt du nicht. Ich könnte Anlauf nehmen. Gib mir dein Geld!«
    »Ich hab kein Geld. Du bist krank. Du solltest zum Arzt gehen.«
    »Das reicht, Arschloch!« Der Typ stach mit dem Schraubenzieher nach Tommys Bauch.

    Tommy trat zur Seite. Der Crackhead bewegte sich so langsam, dass es fast komisch aussah. Als der Schraubendreher ihn verfehlte, kam Tommy zu dem Schluss, dass es das Beste wäre, ihn an sich zu nehmen, was er umgehend tat. Der Räuber verlor das Gleichgewicht, taumelte auf die Straße und fiel hin.
    Tommy schleuderte den Schraubenzieher auf das Dach eines vierstöckigen Gebäudes auf der anderen Straßenseite. Zwei schräge Vögel, die etwas abseits an einer dunklen Ecke standen und überlegten, ob sie den Überfall vom Crackhead übernehmen oder im Erfolgsfall einfach ihn berauben sollten, beschlossen, sich doch lieber woanders umzusehen.
    Tommy war einen halben Block gelaufen, als er hörte,

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