BIS(S) ZUM ERSTEN SONNENSTRAHL
der wummernden Musik, die mir entgegenschlug, als ich näher kam, wurde von dem unverwechselbaren süßlichen Rauchgeruch eines verbrennenden Vampirs begleitet. Meine Panik verstärkte sich noch. Die Wahrscheinlichkeit, im Haus zu sterben, war genauso hoch, wie die, hier draußen zu sterben. Aber ich hatte keine Wahl. Ich wurde nicht langsamer, sondern raste die Treppe hinunter direkt in die Ecke, wo ich undeutlich Freaky Fred stehen sah. Der nach etwas Ausschau hielt? Das Sitzen satthatte? Ich hatte keine Ahnung, was in ihm vorging, und es war mir auch egal. Ich würde in seiner Nähe bleiben, bis Riley und Diego zurückkamen.
Mitten auf dem Boden lag ein schwelender Haufen, der zu groß war, um nur ein Bein oder ein Arm gewesen zu sein. Das war's also wohl mit Rileys zweiundzwanzig.
Niemand schien sich groß über die qualmenden Reste aufzuregen. Der Anblick war zu gewohnt.
Als ich schnell näher an Fred heranrückte, wurde das Ekelgefühl ausnahmsweise nicht stärker. Im Gegenteil, es nahm ab. Er schien mich nicht zu bemerken, sondern las einfach in dem Buch weiter, das er in der Hand hielt. Es war eins von denen, die ich vor ein paar Tagen für ihn hatte liegen lassen. Ich hatte keine Schwierigkeiten zu sehen, was er tat, jetzt, da ich so dicht bei ihm stand, dort wo er sich an die Rückseite des Sofas lehnte. Ich zögerte und fragte mich, warum das so war. Konnte er dieses Übelkeitsding abstellen, wenn er wollte? Bedeutete das, dass wir im Moment beide ungeschützt waren? Glücklicherweise war wenigstens Raoul noch nicht zurück, Kevin allerdings schon.
Zum ersten Mal überhaupt konnte ich genau erkennen, wie Fred aussah. Er war groß, vielleicht eins neunzig, mit den dichten blonden Locken, die mir schon mal aufgefallen waren. Seine Schultern waren breit und sein Oberkörper muskulös. Er sah älter aus als die meisten anderen - wie ein Student, nicht wie ein Schüler. Und - das überraschte mich aus irgendeinem Grund am meisten - er sah gut aus. Genauso gut wie jeder andere, vielleicht sogar besser als die meisten. Ich wusste nicht, warum ich das so erstaunlich fand. Wahrscheinlich, weil ich ihn immer mit Abscheu in Verbindung gebracht hatte.
Ich fühlte mich unwohl dabei, ihn so anzustarren, und blickte mich schnell im Zimmer um, um zu sehen, ob jemand von den anderen bemerkt hatte, dass Fred im Moment normal - und hübsch - war. Niemand schaute in unsere Richtung. Ich warf Kevin einen flüchtigen Blick zu, bereit, sofort wegzusehen, sobald er es bemerkte, aber seine Augen waren auf eine Stelle ein Stück links von uns gerichtet. Er runzelte leicht die Stirn. Bevor ich weggucken konnte, strich sein Blick über mich hinweg und blieb rechts von mir hängen. Sein Stirnrunzeln verstärkte sich. Als ob ... er versuchte mich zu sehen und ihm das nicht gelang.
Ich spürte, wie sich meine Mundwinkel zu so etwas Ähnlichem wie einem Grinsen verzogen. Aber es gab zu viel, worüber ich mir Sorgen machte, um Kevins Blindheit wirklich genießen zu können. Ich blickte zurück zu Fred und überlegte, ob jetzt auch für mich der Ekelfaktor zurückkehren würde, nur um festzustellen, dass er genau wie ich lächelte. Wenn er lächelte, sah er wirklich umwerfend aus.
Dann war der Augenblick vorbei und Fred wandte sich wieder seinem Buch zu. Ich blieb eine ganze Weile unbeweglich stehen und wartete darauf, dass etwas geschah. Darauf, dass Diego durch die Tür kam. Oder Riley mit Diego. Oder Raoul. Oder darauf, dass mich erneut Übelkeit überkam oder dass Kevin wütend in meine Richtung sah, oder darauf, dass der nächste Streit ausbrach. Irgendetwas.
Als nichts passierte, riss ich mich schließlich zusammen und machte, was ich schon die ganze Zeit hätte machen sollen - so tun, als wäre alles ganz normal. Ich nahm mir ein Buch von dem Stapel neben Freds Füßen, dann setzte ich mich an Ort und Stelle hin und gab vor zu lesen. Es war wahrscheinlich eins derselben Bücher, die ich gestern angeblich gelesen hatte, aber es kam mir nicht bekannt vor. Ich blätterte durch die Seiten und nahm wieder nichts von dem wahr, was dort stand.
Mein Verstand drehte sich rasend schnell in engen kleinen Kreisen. Wo war Diego? Wie hatte Riley auf seine Geschichte reagiert? Was hatte das alles zu bedeuten - das Gespräch vor Ankunft der verhüllten Gestalten, das Gespräch danach?
Ich durchdachte alles noch mal in umgekehrter Reihenfolge und versuchte die Einzelteile zu einem erkennbaren Bild zusammenzusetzen. Es gab eine Art Polizei
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