Bissige Gäste im Anflug
verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Mit dem blauen Dunst waren sie erschienen und damit waren sie auch wieder verflogen.
Armin Schenkel sah noch einen Moment auf den Himmel, dann auf die Zigarette in seiner Hand und schüttelte den Kopf. Janina hatte recht. Er sollte aufhören mit dem Zeug. Rauchen benebelte nur die Sinne. Und die vielen Fantasyromane, die er las.
Armin Schenkel warf die Zigarette zu Boden und trat sie entschlossen aus, als würde er einen grausamen Feind ausmerzen. Von jetzt an gab es nur noch Möhrchen und Liebesgedichte.
Ludo sieht
schwarz
E r wusste nicht, wie lange sie schon flogen. Es hätte eine Sekunde oder ein Jahr sein können. Ludo hatte jegliches Gefühl für Zeit und Entfernungen verloren. Er kannte nur noch ein Gefühl: Angst. Wo brachten ihn die Riesenfledermäuse hin? Was hatten sie vor? Würde er seine Freundinnen und seine Familie jemals wiedersehen?
Selbst, wenn Ludo den Mut und die Stimme zum Sprechen gefunden hätte – er wusste, dass diese gigantischen, unheimlichen Wesen nicht mit sich reden lassen würden. In keiner Sprache der Welt. Und er wusste, dass jede Gegenwehr zwecklos war. Was sollte Ludo, der noch nicht einmal besonders kräftig war, gegen fünf Riesenfledermäuse ausrichten? Fünf Ludos hätten diese Monster der Lüfte nicht vertreiben können. Und selbst wenn – Hunderte von Metern über der Erdoberfläche war sicherlich nicht der beste Ort, um einen Kampf anzuzetteln.
Es gab nur eins, was Ludo tun konnte: den Fledermäusen voraus sein. Wissen, was als Nächstes geschah. Ludo musste hellsehen.
Obwohl Ludo am ganzen Körper zitterte, obwohl es ihm beim Blick nach unten die Kehle zuschnürte, obwohl sein Herz zum Eisklumpen gefror, wenn er an die Krallen um seine Schultern dachte, versuchte er sich zu konzentrieren. Er blies die Backen auf, schloss die Augen, öffnete sie wieder, schnaufte. Er presste die Zunge gegen den Gaumen, die Zähne aufeinander, verdrehte die Augen.
Eigentlich, dachte Ludo, müsste hier oben doch ein guter Empfang für die Bilder der Zukunft sein. Aber so sehr Ludo auch seine übernatürlichen Antennen ausrichtete, er sah nur ein graues Flimmern. Sendeschluss.
Plötzlich hörte Ludo ein Donnern. Es war ganz in der Nähe, als befände er sich im Zentrum eines Gewitters. Es donnerte abermals. Direkt über ihm. Das Donnern kam aus dem gigantischen Bauch der Fledermaus, in deren Krallen Ludo hing. Bevor Ludo auch nur den Kopf senken, die Augen schließen oder sich ganz und gar die Nase zuhalten konnte, geschah es. Aus dem Hinterteil der Riesenfledermaus kam mit einem lauten PRÖLLGRÖLLTRÖT eine grünlich gelbe Wolke. Die Wolke hüllte Ludo ein. Ludo blieb noch zwei Sekunden bei Bewusstsein. Dann sah er schwarz.
Ein grottenschlechtes
Gefühl
M ihai Tepes saß auf der dunklen Terrasse hinter dem Reihenhaus. Er nippte genüsslich an dem Kaffee, den er sich meistens nach der Nachtschicht genehmigte. Er zog eine Ampulle aus der Mantelinnentasche und gab einen Schuss Blut in den Kaffee. Er trank ihn nie schwarz. Oder ganz und gar mit Zucker.
Wie immer, wenn er von der Nachtschicht kam, lag die Reihenhaussiedlung noch im Schlaf. Mihai Tepes würde wohl nie verstehen, wie Menschen die Nacht ungenutzt verstreichen lassen konnten, sie einfach verschliefen. Sie wussten gar nicht, was sie versäumten – eine wunderbare tiefschwarze, schummrig-schöne Welt. Aber nein, die Menschen setzten sich lieber stundenlang dem Sonnenlicht aus. Und dann wunderten sie sich, dass sie schrumpelig und niemals auch nur lächerliche dreihundert Jahre alt wurden.
Im Wohnzimmer des Reihenhauses nebenan brannte allerdings Licht. Wenn Mihai Tepes sich etwas vorbeugte, konnte er von der Terrasse aus seinen Nachbarn Dirk van Kombast sehen. Anscheinend war er frühzeitig aus dem rumänischen Gefängnis entlassen worden. Mit dicken Kopfhörern auf den Ohren lag er auf der Couch. Er hatte die Augen zu, doch Herr Tepes sah genau, dass er ab und zu blinzelte. Er prostete dem Nachbarn mit der Kaffeetasse zu, woraufhin dieser die Augen noch fester zukniff.
Dirk van Kombast war ein seltsamer Nachbar. Ein neugieriger Nachbar. Vielleicht sogar ein gefährlicher Nachbar. Aber da war sich Herr Tepes noch nicht ganz sicher. Immerhin war er ein Nachbar, der nachts nicht schlief wie die meisten Menschen. Das, fand Herr Tepes, war eigentlich sympathisch. Vielleicht sollte er Dirk van Kombast einmal fragen, ob er mit ihm im Keller Rennzeckenrennen veranstalten und wetten
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