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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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nichts, was Sie nicht längst wissen, Lady. Sie sind Luke Ferrys Tochter. Ich weiß, dass Sie beide Seiten in sich haben.«
    Jetzt kommen die Tränen doch, und es sind zu viele, um sie wegzublinzeln. »Warum hat mein Daddy so viel Zeit hier auf der Insel verbracht, Jesse? Was war es, das ihn hierher gezogen hat?«
    Jesse schneidet eine Grimasse und richtet den Blick nach vorn in den Wald.
    »Hat er Dope auf der Insel angebaut?«
    »Er hat es versucht, aber er war nicht geschickt genug darin.«
    »Hat er jemals gedealt? Mit Drogen?«
    Das vernarbte Gesicht dreht sich langsam nach rechts und links. »Scheiße, ich musste Gras für ihn besorgen.«
    »Was übersehe ich dann? Wie viel Zeit hat er tatsächlich hier unten verbracht?«
    »Eine Menge. Besonders im Winter. Im Sommer nicht, da war Ihre Familie oft hier. In der Jagdsaison auch nicht, weil Dr. Kirkland regelmäßig mit seinen Freunden vorbeikam. Aber in der übrigen Zeit war Luke da.«
    »Was zur Hölle hat er hier gemacht, wenn er nicht gejagt und nicht geangelt hat?«
    Jesse sieht mich an, doch die tief sitzende Wut, die ich vorhin in ihm gespürt habe, scheint aus seinen Poren verdunstet zu sein. »Er ging viel spazieren. Hat Sachen in ein Notizbuch gemalt. Hat ein wenig Musik gemacht. Er hatte eine Gitarre hier, und ich hab ihm ein paar Bottleneck-Griffe beigebracht.«
    Ich kann mich schwach an eine Gitarre im Atelier meines Vaters erinnern, weiß aber nicht mehr, ob er je darauf gespielt hat. »War er gut?«
    »Auf der Gitarre? Ganz annehmbar – für einen Weißen. Hatte ein wenig vom Blues in sich.«
    »Und hat er …«
    Das Summen eines Mobiltelefons lässt mich verstummen, doch es ist nicht meins. Jesse zieht ein Nokia aus der Tasche und antwortet. Er lauscht ein paar Sekunden, dann sagt er, dass er sich sofort daranmachen würde und legt auf.
    »Ich muss weg«, sagt er.
    »Jetzt sofort?«
    »Jepp. Muss ein paar Vorräte vom Festland herbeischaffen, für den Fall, dass das Hochwasser den Damm überschwemmt. Soll ein paar Tage am Stück regnen, den ganzen Fluss rauf. Wir machen besser, dass wir loskommen.«
    »Aber ich habe noch mehr Fragen.«
    »Wir können unterwegs reden.« Er geht voraus zu seinem Pferd, bindet es los und führt es zu mir. Hard-Ass schlägt mit dem Schweif nach einer summenden Pferdebremse. »Ich steige auf, dann ziehe ich Sie hinter mich. Halten Sie sich von seinem Hintern fern, okay?«
    »Mache ich.«
    Jesse stellt einen Fuß in den Steigbügel und schwingt sich geschickt auf das Pferd. Dann nimmt er den Fuß aus dem Bügel, damit ich einen Halt finde. Nachdem ich meinen Fuß hineingestellt habe, nimmt er mich am linken Arm und zieht mich mühelos hinter seinen Sattel. »Sie können reden, aber halten Sie sich gut fest.« Er versetzt das Pferd in einen kurzen Galopp entlang dem grasbewachsenen Seitenstreifen der Geröllpiste. Seine breiten Schultern sind schweißnass, und rosafarbenes Narbengewebe überzieht seinen Nacken.
    »Sie arbeiten für meinen Großvater, richtig?«, frage ich ihn.
    »Das ist richtig.«
    »Was halten Sie von ihm?«
    »Er ist ein harter alter Mann.«
    »Mögen Sie ihn?«
    »Dr. Kirkland zahlt meinen Lohn. Ob ich ihn mag oder nicht hat damit nichts zu tun.«
    In mir entsteht das Gefühl, dass die Beziehung zwischen Großvater und Jesse alles andere als unkompliziert ist. »Was verschweigen Sie mir, Jesse?«
    Ich kann sein Grinsen beinahe spüren. »Dr. Kirkland hat mich einmal verprügelt, als ich ein Junge war. Mächtig verprügelt. Allerdings hätte ich an seiner Stelle wahrscheinlich das Gleiche getan, und deswegen sind wir quitt, schätze ich.«
    Ich will mehr darüber erfahren, doch bevor ich dazu komme, sehe ich eine Frau, die uns auf einem Fahrrad entgegenkommt. Der Kies auf dem Weg macht ihr Vorankommen mühselig. Es sieht aus, als könnte sie jeden Augenblick ins Rutschen geraten und stürzen.
    »Scheiße«, murmelt Jesse.
    »Wer ist das?«
    »Achten Sie nicht auf die Frau. Die ist halb verrückt.«
    Die Frau wird langsamer, als sie näher kommt, doch Jesse gibt seinem Pferd die Sporen, als wollte er wortlos an ihr vorbei.
    »Warte!«, ruft die Frau.
    »Halten Sie an«, sage ich zu Jesse.
    Er hört nicht auf mich.
    »Verdammt, Jesse Billups!«, ruft die Frau. »Wage es nicht, vor mir wegzulaufen!«
    Ich greife um Jesse herum und falle ihm in die Zügel. »Halten Sie augenblicklich an!«
    Er flucht, dann stoppt er das Pferd aus vollem Galopp. »Sie werden sich wünschen, wir wären

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