Bisswunden
Kaffee. Ich bin süchtig danach, schätze ich.«
»Louise, was können Sie mir über den alten orangefarbenen Pick-up beim Damm sagen?«
Sie schaltet die Kaffeemaschine ein, dann kommt sie zu mir und nimmt in einem billigen Kunstledersessel links neben mir Platz. »Sie meinen den alten Schrotthaufen beim Schuppen?«
»Ja.«
»Das war früher Mr. Kirklands Truck.«
»Ich weiß. Hat mein Vater ihn je gefahren?«
Sie schließt die Augen. »Ja. Luke fuhr ihn manchmal, wenn Dr. Kirkland nicht da war. Dr. Kirkland hat immer damit geprahlt, wie lange dieser Schrotthaufen gelaufen ist. Er hat gesagt, er hätte ihn noch nie im Stich gelassen und würde es auch nicht. Aber dann ist er doch kaputtgegangen. Warum?«
»Ich denke, ich habe irgendetwas gesehen, als ich in diesem Wagen gesessen habe. Ich habe einen Traum, wo ich neben Großvater sitze. Wir sind im Norden der Insel unterwegs und fahren auf dem Weideland einen Hügel hinauf, in Richtung des Sees.«
Louise nickt. »Ich weiß, wo das ist.«
»In meinem Traum schaffen wir es nie über den Kamm. Wir kommen näher und näher, aber wir erreichen ihn nie. Und je näher wir kommen, desto größer wird meine Angst.«
»Wie lange haben Sie diesen Traum schon?«
»Ein paar Wochen, vielleicht auch länger. Wissen Sie, ob dort oben irgendetwas passiert ist? Ob ich vielleicht irgendwas Schlimmes beobachtet habe?«
Sie lehnt sich auf ihrem Sessel zurück und blickt zum Fenster hinaus. Die Gewitterwolken haben den Tag vorzeitig dunkel werden lassen, und vom Wind rattern die Scheiben in den Rahmen.
»Es wird noch schlimmer, bevor es besser wird«, orakelt sie. »Auf dieser kleinen Insel sind im Lauf der Jahre eine Menge böser Dinge passiert. Aber der See … haben Sie vielleicht beobachtet, wie irgendjemand verprügelt wurde? Oder getötet?«
»Ich weiß es nicht.« Mir kommt eine andere Möglichkeit in den Sinn. »Haben Sie und Dad je irgendwas draußen beim See gemacht? Sich geliebt oder so?«
Louis wird ganz still. »Wir waren manchmal zum Schwimmen dort«, sagt sie leise. »Aber nie, während Sie auf der Insel waren.«
»Haben Sie beide sich je geliebt, wenn ich auf der Insel war?«
Sie wendet den Blick ab. »Wir haben versucht, es zu vermeiden. Manchmal haben wir es trotzdem getan. Es tut mir Leid, wenn Sie das jetzt verstört, aber ich will Sie nicht belügen.«
»Nein. Ich will die Wahrheit hören. Und ich weiß, wie es ist, wenn man jemanden liebt.«
»Nun ja … vielleicht haben Sie uns beobachtet, wenn wir nackt im See schwimmen waren. Aber ich glaube das eigentlich nicht.«
Ich spüre ihr Unbehagen, deshalb wechsele ich das Thema. »Hat Daddy je mit Ihnen über den Krieg gesprochen?«
»Nein. Nicht in Worten. Aber er hat mich seinen Schmerz auf andere Art sehen lassen.«
»Was ist ihm in Vietnam widerfahren? Was glauben Sie?«
Ihre großen Augen fixieren die meinen, und ich erkenne Leidenschaft darin. »Er wurde vergiftet. Nicht sein Körper – seine Seele.«
»Louise … ich habe gehört, dass seine Einheit Kriegsverbrechen begangen hat. Gräueltaten. Verstehen Sie, was ich sage?«
Sie nickt ernst.
»Sie haben Menschen gefoltert. Frauen gekidnappt und vergewaltigt. Glauben Sie, dass Daddy so etwas getan haben könnte?« Direkter wage ich nicht danach zu fragen, ob Louise es für möglich hält, dass mein Vater mich sexuell missbraucht hat.
Sie erhebt sich unvermittelt und geht zu einer Schublade, nimmt eine Packung Salem-Zigaretten hervor und zündet sich eine davon mit einem normalen Haushaltsstreichholz an. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters besitzt Louise noch immer eine schlanke Figur mit straffen Waden, für die manche jüngere Frau morden würde. Ich kann nur ahnen, wie atemberaubend sie in jungen Jahren ausgesehen hat.
»Luke hatte Probleme, okay?« Sie stößt blauen Rauch aus. »Als wir am Anfang zusammen waren, konnte er mich nicht lieben.«
»Sie meinen körperlich?« Eine merkwürdige Aufregung erfasst mich. »Er war impotent?«
Sie neigt den Kopf, als wüsste sie nicht genau, wie sie darauf antworten soll. »Er war es, und er war es wieder nicht.«
»Wie meinen Sie das, er war es und er war es wieder nicht?«
Louis blickt mich skeptisch an. »Ich sehe keinen Ring an Ihrem Finger«, sagt sie. »Haben Sie nie mit einem Mann zusammengelebt?«
»Doch, schon. Oder besser, die Männer haben mit mir zusammengelebt. Keine Sorge, Sie müssen nicht zimperlich sein, Louise. Ich kenne die Männer.«
Sie kichert leise. »Sie
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