Bisswunden
wissen, wie es ist, wenn ein Mann aufwacht? Wie hart er manchmal da unten ist, weil er auf die Toilette muss?«
Ich nicke und packe aufgeregt vor Neugier die Armlehne des Sofas.
»Genauso war Luke morgens auch immer. Aber wenn ich versucht hab, Liebe mit ihm zu machen, ist es nicht so geblieben.«
»Ich verstehe.«
»Ich wusste, dass irgendetwas im Krieg daran schuld sein musste. Nicht seine Verwundung, nein. Irgendwas war mit seinem Kopf passiert. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis er richtig mit mir zusammen sein konnte. Bis er mir vertrauen konnte. Ich denke, das ist es, was er verloren hatte. Vertrauen. Aber ich bin kein Doktor. Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er in Vietnam Dinge getan oder gesehen, die Sex für ihn zu etwas Schrecklichem gemacht haben.«
Wilde Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf. Wenn mein Vater impotent war, wie kann er mich dann missbraucht haben? Aber natürlich kann er das, sagt eine bittere Stimmein mir. Es gibt noch eine ganze Menge anderer sexueller Praktiken außer dem eigentlichen Akt. Ich bin nicht einmal sicher, ob Geschlechtsverkehr die vorherrschende Form von Kindesmissbrauch darstellt. Ich muss Dr. Goldman oder vielleicht auch Michael Wells danach fragen.
Ein Windstoß lässt die Fenster erzittern, und der Regen prasselt laut wie Hagel auf das Dach. Ich konzentriere mich auf das Brummen der Klimaanlage, um das Geräusch aus meinem Bewusstsein zu verdrängen. »Was haben Sie noch gleich gesagt, was die Freundschaft zwischen meinem Vater und Jesse beendet hat?«
Louise schenkt sich eine Tasse des erst halb fertigen Kaffees ein. »Jesse wollte mich schon immer. Er hat mich schon beobachtet, als ich noch ein kleines Mädchen war. Ständig kam er zu mir, hat mit mir geredet, hat mir Geschenke gebracht. Ist mir auf dem Pferd über die Insel gefolgt. Aber ich wollte ihn nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich hatte einfach kein Gefühl für ihn. Ich wusste nicht, was ich wollte, nur, dass es nicht Jesse war. Dann bemerkte ich den weißen Jungen, der über die Insel streifte. Er war in Wirklichkeit ein Mann, genau wie Jesse, aber er wirkte mehr wie ein Junge. Immer für sich allein, genau wie ich. Manchmal haben er und Jesse sich unterhalten, aber ich glaube, alles, was sie gemeinsam hatten, war der verdammte Krieg. Jedenfalls, ich überlegte mir, wie ich Luke bei seinen Streifzügen über den Weg laufen konnte, sodass er über mich stolperte und es wie ein Zufall aussah. Ich unterhielt mich gerne mit ihm. Ich war in meinem Leben noch nie irgendwo außer hier auf der Insel und in West Feliciana Parish in der Schule. Und das war nur eine einfache Landschule für Schwarze. Hab überhaupt nichts gelernt dort. Also hab ich bloß dagesessen und gelauscht, während Luke erzählt hat. Was wirklich lustig war, weil die anderen Leute, die ihm begegnet sind, sich gefragt haben, ob er überhaupt reden konnte. Aber er konnte,wenn er wollte. Er hat ununterbrochen erzählt, wenn er mit mir zusammen war.«
»Ich habe das Gleiche gemacht«, sage ich. »Ich bin jeden Abend in sein Atelier gegangen, um ihm bei der Arbeit zuzusehen. Er hat nicht viel mit mir geredet – wahrscheinlich, weil ich noch so jung war –, aber er ließ mich bei sich sitzen. Ich war die Einzige, die zu ihm durfte.«
Louise lächelt mich an. Wir sind Schwestern im Geiste.
Ihre Wangen röten sich verlegen. »Ich war vierzehn, als ich anfing, Luke nachzustellen. Aber wir haben nur geredet, wie gesagt. Wir haben nichts miteinander gemacht, bis ich sechzehn war.«
Sechzehn … »Ich verstehe. Sie waren sehr in ihn verliebt.«
In ihren Augen ist ein entrückter Blick. »Sie wollen wissen, ob er auch in mich verliebt war?«
»Ja.«
»Er hat gesagt, dass es so ist. Ich weiß, das tut Ihnen wahrscheinlich weh. Aber ich sage Ihnen, er hätte Sie niemals verlassen, um zu mir zu kommen. Er hasste dieses Haus, dieses Malmaison. Und auch Ihren Großvater.«
»Und meine Mutter?«
Louise sieht mir tief in die Augen. »Er hat Ihre Mutter geliebt, wirklich. Sie verstand ihn nicht, das ist alles. Aber jedes Mal, wenn ich ihn überreden wollte, sie zu verlassen … glauben Sie nicht, ich hätte es nicht versucht. Mein Gott, ich habe ihn manchmal förmlich angefleht! Und jedes Mal sagte er: ›Ich kann meine Kitty Cat nicht im Stich lassen, Louise. Ich kann mein Baby nicht in diesem Haus bei diesen Menschen allein lassen. Deswegen kann ich nicht für immer zu dir kommen.‹ Und er hat es nie getan.«
Diese Bestätigung, dass
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