Bisswunden
Sie es vielleicht.«
»Was könnte es sonst sein?«
»Bestrafung.«
Eine lange Pause. »Sie sind eine sehr scharfsinnige Person.«
»Das hat mir bisher nicht viel geholfen.«
»Vielleicht kommt das noch.«
»Wozu war die Videoausrüstung? Das Zeug, das die Polizei in Ihrem heimlichen Unterschlupf gefunden hat?«
»Öffentliche Aufklärung. Ich melde mich bald wieder bei Ihnen, meine Liebe. Ich muss jetzt los.«
Die Angst vor der Trennung schneidet durch mich hindurch wie eine Klinge. »Dr. Malik?«
»Jemand hat heute Abend versucht, mich zu ermorden.«
Schweigen.
»Waren Sie das?«
»Nein. Wo ist das gewesen?«
»Mitten im Nichts. Auf einer Insel im Mississippi.«
Erneutes Schweigen. »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, was das angeht.«
»Haben die Morde in New Orleans irgendetwas mit mir zu tun? Mit meinem Leben in Natchez?«
»Ja und nein. Ich muss jetzt wirklich aufhören, Catherine. Seien Sie vorsichtig. Vertrauen Sie niemandem. Nicht einmal Ihrer eigenen Familie.«
Mit einem Klick ist das Gespräch vorbei.
Ich halte das Telefon noch immer ans Ohr, als ein schwarzer Expedition auf den Parkplatz rollt und dreimal das Fernlicht aufblendet. Ich bleibe, wo ich bin, bis Michael Wells aussteigt.
»Cat?«, ruft er. »Ich bin es, Michael!«
»Ich bin hier drüben!« Den Rücken an die Wand gestützt, schiebe ich mich auf die Beine und setze mich in Richtung des Wagens in Bewegung.
32
M ichael blickt mich besorgt an, während ich mich dem Expedition nähere, doch dann grinst er. »Jedes Mal, wenn ich dich sehe, hast du nur Unterwäsche an.«
»Scheint wohl so zu sein«, versuche ich zurückzugrinsen.
Er greift in den Wagen und reicht mir ein T-Shirt, ein paar Trainingshosen und Slipper, die mir ungefähr fünf Größen zu groß sind.
»Danke. Hast du ein Handtuch? Ich möchte die Hose nicht ruinieren. Ich hab eine Menge Blut am Bein.«
Er öffnet die Beifahrertür und hilft mir auf den Sitz. Dann beugt er sich über das ausgefranste Loch in meinem Oberschenkel. »Verdammt. Das muss ich nähen, wenn wir zurück sind. Für den Augenblick kann ich die Wunde nur säubern und verbinden.«
Aus einer Papiertüte am Wagenboden nimmt er eine Flasche Betadin, tränkt Gaze damit und drückt den voll gesogenen Bausch in meine Wunde. Nach ein paar Sekunden nimmt er die Gaze weg und drückt eine halbe Tube Neosporin in das Loch, bevor er es mit einem großen Heftpflaster abdeckt.
»Die meisten meiner Patienten brauchen hinterher ein Tootsie Pop.«
»Hast du eins da?«
Er greift ins Handschuhfach, und mit einer Handbewegung wie ein Zauberkünstler präsentiert er mir einen Schokoladenlutscher. Ich muss tatsächlich grinsen.
»Was hältst du davon, wenn wir jetzt machen, dass wir von hier verschwinden?«, fragt er.
Ich nicke dankbar.
Michael schließt die Beifahrertür, dann steigt er auf der anderen Seite ein und klemmt sich hinter das Lenkrad. Während ich die von ihm mitgebrachten Sachen anziehe, wendet er den Expedition und rollt auf den Highway zurück, Richtung Norden.
»Wie bist du hierher gekommen?«, fragt er.
»In meinem Wagen. Er steht auf der anderen Seite des Flusses.«
»Müssen wir ihn holen?«
Ich hätte meinen Wagen gerne zurück. Dazu aber müssten wir die Fähre in St. Francisville nehmen. Das ist der einzige Weg über den Mississippi zwischen Natchez und Baton Rouge – abgesehen von der Fähre bei Angola, die nur vom Gefängnis benutzt wird. St. Francisville ist also ein idealer Ort für einen Hinterhalt für den Unbekannten, der mich auf der Insel töten wollte. Wenn er bei meinem Audi wartet, riskiert er, geschnappt zu werden, falls ich bei meiner Rückkehr die Cops mitbringe. Die Fähre hingegen ist ein Nadelöhr, wo er mir unerkannt auflauern kann. Wenn ich mein Glück auf die Probe stelle und sie benutze, erwischt er mich vielleicht doch noch.
»Nein. Ich hole ihn morgen.«
»Okay. Dann entspann dich jetzt. In einer Stunde sind wir zurück in Natchez.«
Ich neige die Rückenlehne meines Sitzes und atme ein paar Mal tief durch. Dank der laufenden Klimaanlage fühle ich mich wie in einer Suite im Windsor Court.
»Ich will mich wirklich nicht in deine Angelegenheiten mischen«, sagt Michael, »aber was ist heute passiert? Du hastziemlich schlimm geklungen, als du bei mir in der Praxis angerufen hast.«
»Ich habe schlechte Neuigkeiten erfahren.«
»Okay.«
Er fragt nicht nach Einzelheiten, doch ich sehe nicht viel Sinn darin, ihm die Geschichte vorzuenthalten. »Kurz
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