Bisswunden
Zu Hause bei Karen?«
Schweigen. Dann: »Ehrlich gesagt, ja. Ich rufe an, weil du etwas wissen musst. Hast du meine Nachricht über Malikerhalten? Dass er Kaution gestellt und sich der Observation entzogen hat?«
»Ja.« Ich muss immer noch daran denken, dass Sean zu Hause bei seiner Frau ist.
»Hast du irgendetwas von Malik gehört?«
»Bis jetzt nicht, nein.«
»Das fbi weiß, dass du versucht hast, ihn anzurufen.«
»Und?«
»Was heißt hier und? Hast du den Verstand verloren? Das sieht nicht gut aus!«
»Ist mir egal.«
»Ist es dir auch egal, ob du am Leben bleibst?«
»So merkwürdig es erscheinen mag, aber es ist mir nicht egal. Das habe ich eben über jeden Zweifel hinaus herausgefunden.«
»Was meinst du damit?«
Ich lache leise. »Gerade hat jemand versucht, mich umzubringen.«
»Wie bitte?«
»Es hat nichts mit Malik zu tun.«
»Woher willst du das wissen?«
»Es ist auf der Insel passiert. Der Insel meiner Familie, im Mississippi. Es geht um irgendwas anderes. Ich bin nicht sicher, um was, aber es hat nichts mit den Morden in New Orleans zu tun.«
»Wo bist du im Augenblick?«
»Ich liege am Flussufer mit einem Loch im Oberschenkel, es regnet mir ins Gesicht, ich habe keine Schuhe und keine Kleidung. Und ich fühle mich ein ganzes Stück besser als noch heute Morgen.«
»Cat … das klingt ganz danach, als würdest du wieder in eine von deinen manischen Phasen kommen. Nimmst du deine Medikamente?«
»Ich muss jetzt auflegen, Sean. Mach dir keine Gedanken um mich.«
»Cat, tu das nicht. Das fbi will mit dir reden. Kaiser will dich sprechen.«
»Sag Kaiser, dass ich ihn morgen anrufe. Und Sean?«
»Ja?«
»Weißt du noch, wie wir überlegt haben, warum ich einige der Dinge brauchte, die du mit mir gemacht hast? Beim Sex, meine ich?«
Seine Stimme wird kleinlaut. »Ja.«
»Ich habe heute herausgefunden, dass mein Vater mich missbraucht hat. Also mach dir keine Gedanken mehr deswegen. Es hatte nichts mit dir zu tun. Das Gleiche gilt für die anderen Sachen, die ich getan habe. Die One-Night-Stands. Ich denke, das alles kommt daher, dass ich als Kind missbraucht worden bin.«
»Cat, du klingst gar nicht gut. Lass mich …«
»Was denn? Kannst du jetzt von zu Hause weg? Kannst du jetzt herkommen und mich holen?«
»Vielleicht könnte ich das, ja.«
»Ich bin eine Stunde Fahrtzeit von dir weg. Vielleicht länger.«
Schweigen. »Ich könnte dir jemanden schicken.«
Ein weiteres Messer in meinen Bauch. »Mach dir keine Gedanken deswegen, Sean. Pass auf deine Frau und deine Kinder auf. Gute Nacht.«
»Cat …«
Ich lege auf, bevor er weiterreden kann. Er kann mir nicht helfen. Er kann es jetzt nicht, und im Grunde genommen konnte er es nie.
Ich rolle mich auf den Bauch, lege die Hände flach auf den Boden und drücke mich hoch. Dann stehe ich auf. Das Leuchten des Highways sieht aus, als wäre es nicht weiter als eine Meile entfernt.
Ich gehe los.
31
I ch sitze mit nichts außer meiner Unterwäsche am Leib an der Mauer einer verlassenen Tankstelle am Highway One und warte darauf, dass Michael Wells mich von den Moskitos errettet, die sich mein Blut schmecken lassen. Das Wasser des Mississippi hat einen öligen, stinkenden Film auf meiner Haut hinterlassen, doch die Moskitos hier sind allem Anschein nach daran gewöhnt. Wenn ich bis morgen früh kein Westnil-Fieber habe, grenzt das an ein Wunder. Der schmale Überhang des Gebäudes schützt mich kaum vor dem Regen, doch das ist mir heute Nacht egal. Der Regen ist das Einzige, was die drückende Hitze ein wenig mildert. Das einzige Licht kommt von einem diffusen Leuchten hinter den Gewitterwolken und dem gelegentlichen gleißenden Schein vorbeijagender Autos auf dem Highway.
Michael hat gesagt, ich soll nach einem schwarzen Ford Expedition Ausschau halten, doch es ist schwierig, die vorbeifahrenden Fahrzeuge zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Ich bin auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses gelandet, und deswegen bin ich für den Augenblick wahrscheinlich sicher vor dem Mann, der mich töten will. Doch wenn ich mich nur in bh und Höschen am Highway aufstelle, bettele ich förmlich darum, vergewaltigt zu werden. Außerdem ist es gerade erst eine Stunde her, dass ich mit Michael telefoniert habe. Er kann noch gar nicht hier sein, es sei denn, er ist neunzig Meilen oder schneller gefahren.
In dem Augenblick, in dem ich mich an die Bimssteinwand gelehnt hinsetze, überkommt mich tiefe Müdigkeit. Es ist nicht
Weitere Kostenlose Bücher