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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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»Du kommst nicht besonders gut aus mit deiner Mutter, wie?«
    »Wir kommen miteinander zurecht, solange wir uns nicht zu häufig sehen.«
    Er verknotet die letzte Schlaufe, dann legt er seine Klemme auf die Arbeitsfläche. »Hast du Hunger?«
    »Ich sterbe vor Hunger.«
    »Steak und Eier?«
    »Bestellst du außerhalb?«
    »Nein.« Er geht zum Kühlschrank und nimmt ein Paket Rindersteaks heraus. »Geh, setz dich aufs Sofa. In zwanzig Minuten sind die hier fertig.«
    Das Sofa steht an der Wand hinter einem runden Tisch imEsszimmer. Zu weit entfernt für eine Unterhaltung oder auch nur, um Michael beim Kochen zuzuschauen. Angesichts meiner heutigen Erlebnisse möchte ich wirklich nicht allein auf dem Sofa liegen und meine Gedanken schweifen lassen.
    Ich rutsche von der Arbeitsplatte, setze mich auf einen Barhocker und beobachte Michael. Es ist eigenartig, dass ein Mann für mich kocht, auch wenn Sean manchmal in meinem Garten Langusten für mich zubereitet hat.
    »Möchtest du reden über das, was heute passiert ist?«, fragt Michael, indem er mich lange genug ansieht, um mir zu zeigen, dass er ehrlich besorgt ist.
    »Es war nicht nur heute. Es ist der ganze letzte Monat. Eigentlich ist es mein ganzes Leben.«
    »Könntest du mir eine zwanzigminütige Zusammenfassung geben?«
    Ich lache. Und dann fange ich an zu reden. Ich fange an bei meiner Panikattacke am Tatort des Nolan-Mordes – der Attacke vor der, die ich in Arthur LeGendres Haus hatte. Das führt mich zu LeGendre, dann zu Carmen Piazza, die mich aus der Sonderkommission ausgeschlossen hat, und zu meinem Trip nach Natchez, wo ich die blutigen Fußabdrücke in meinem Kinderzimmer gefunden habe. Ich rede vollkommen automatisch, denn in Wirklichkeit beobachte ich Michael beim Kochen. Er ist geschickt mit den Händen, und daran, wie er sie benutzt, erkenne ich, dass er ein guter Arzt ist. Er stellt Fragen, wenn ich Pausen mache, und es dauert nicht lange, bis ich ihm von meinen Depressionen an der Highschool erzähle, gefolgt von den manischen Phasen und den aufeinander folgenden Affären mit älteren, verheirateten Männern. Michael ist ein guter Zuhörer, doch ich vermag nicht zu sagen, was er von alledem denkt. Er sieht aus, als wäre das, was ich erzähle, nichts Ungewöhnliches, doch innerlich bedauert er vielleicht längst, dass er dieser Dame in Not zu Hilfe geeilt ist.
    Als die Steaks und die Eier fertig sind, gehen wir ins Esszimmer und setzen uns an den Glastisch, doch ich redemindestens genauso viel, wie ich esse. Ich kann überhaupt nicht aufhören, wie es scheint. Das Merkwürdige daran ist, er versucht mich nicht zum Essen zu zwingen, wie die meisten Männer es tun würden. Er beobachtet einfach nur meine Augen, als würden sie ihm genauso viel verraten wie meine Worte. Ich erzähle ihm von meinem Vater, meinem Großvater, Pearlie, meiner Mutter, Dr. Goldman, Nathan Malik – selbst die Dinge, die Großvater mir früher heute am Tag verraten hat. Das Einzige, wovon ich Michael nichts erzähle, ist meine Schwangerschaft. Das bringe ich nicht über mich.
    Als meine Geschichte zu Ende ist und meine Worte versiegen, seufzt er tief und sagt: »Möchtest du einen Film ansehen? Ich habe den neuen Adam Sandler ausgeliehen.«
    Ich bin nicht sicher, ob ich erleichtert oder beleidigt reagieren soll. »Machst du Witze?«
    Er grinst. »Ja. Möchtest du wissen, was ich über all das denke?«
    »Ja.«
    »Ich denke, du stehst im Moment unter weit größerem Stress, als die meisten Menschen ertragen könnten. Ich denke, dein Leben ist in Gefahr; wer auch immer hinter diesen Morden steckt, hat es auch auf dich abgesehen. Ganz zu schweigen von dem Risiko, dass du dich ohne adäquate medikamentöse oder therapeutische Hilfe mit deiner Krankheit herumschlägst.«
    Ich sage nichts.
    »Ärgert dich, was ich gesagt habe?«
    »Ein wenig«, gestehe ich.
    Er hebt die Hände und hält mir die Handflächen entgegen. »Ich weiß, dass es mich nichts angeht. Wenn du deine Medikamente nicht nehmen willst, meinetwegen. Aber ich weiß ein wenig über bipolare Verhaltensstörungen. Ich hatte einen guten Freund an der Universität, der bipolar gewesen ist.«
    »Ich bin nicht bipolar. Ich bin zyklothym.«
    »Das ist Wortklauberei. Die gleichen Symptome, lediglich eine Frage der Ausprägung.«
    Ich räume mit einem Nicken ein, dass er Recht hat.
    »Was ich von meinem Freund gelernt habe, ist Folgendes. Eine Menge bipolarer Leute erzählen dir, dass sie sich bessern wollen, aber in

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