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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Dr. Kirkland nicht besonders gut, aber ich würde ihn als Kontrollfreak charakterisieren.«
    »Oh ja. Er benimmt sich wie ein Feudalherr.«
    Michael nickt langsam. »Nun, ich habe mir Folgendes gedacht. Du bist mit einer bestimmten Version vom Tod deines Vaters aufgewachsen. Diese Version stammt von deinem Großvater. Es ist die gleiche Version, die er 1981 der Polizei erzählt hat. Heute, dreiundzwanzig Jahre später, entdeckst du altes Blut in deinem Kinderzimmer. Du beschließt, es zu analysieren, und du machst kein Geheimnis aus deinem Vorhaben. Was geschieht? Dein Großvater revidiert unverzüglich dieGeschichte, mit der du aufgewachsen bist – seine ursprüngliche Version. Er erzählt dir eine neue Version – angeblich die wahre Geschichte –, um dich von deinem Vorhaben abzubringen, den Spuren weiter nachzugehen. Und tatsächlich, du hörst auf, dein altes Schlafzimmer weiter zu untersuchen. Du hörst jedoch nicht damit auf, die Ereignisse jener Nacht weiter zu hinterfragen. Und als du beschließt, ein Team von Spezialisten mit der Untersuchung deines Schlafzimmers zu beauftragen, ändert Dr. Kirkland seine Version der Geschehnisse erneut und erzählt dir eine ›Wahrheit‹, die so erschreckend ist, dass niemand – nicht einmal du – sie gegenüber irgendjemandem außerhalb der Familie enthüllen möchte. In dieser Version gesteht er dir, dass er deinen Vater getötet hat. Doch er tut noch mehr, Cat. Er beschuldigt deinen Vater des sexuellen Missbrauchs an dir.«
    Ich spüre ein eigenartiges Summen im Kopf, begleitet von einer nahezu unstillbaren Gier nach Alkohol. »Sprich weiter«, sage ich.
    »Willst du das wirklich? Ich denke, du weißt, worauf ich hinauswill.«
    »Sprich einfach weiter, Michael. Schnell.«
    »Der einzige Beweis dafür, dass dein Vater dich als Kind missbraucht hat, ist das Wort deines Großvaters. Wenn du dieses Wort außer Acht lässt – welche Beweise gibt es dann noch? Gerüchte über das außereheliche Liebesleben deines Vaters. Gerüchte über mögliche Gräueltaten in Vietnam.«
    Ich schlucke mühsam und warte darauf, dass Michael fortfährt.
    »Tatsache ist, dass du seit vielen Jahren unter psychischen Störungen leidest und ein Verhalten an den Tag legst, das zu Patienten passt, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden. Doch du hast keinerlei direkte Beweise dafür, wer dich missbraucht hat. Deswegen … lass mich dir eine Frage stellen, Cat. Eine einfache Frage. Warum glaubst du, dass die letzte, ›wahre‹ Version, die dein Großvater dir erzählt hat,wahrer ist als eine der vorhergehenden? Was genau bringt dich dazu?«
    »Weil ich das Gefühl habe, dass sie stimmt«, sage ich leise. »Ich wünschte, es wäre nicht so. Aber es ist so. Es ist fast, als könnte ich die Wahrheit sehen. Die beiden Männer, die in der Dunkelheit über meinem Bett kämpfen. Ich fürchte, dass ich es wirklich gesehen habe.«
    »Vielleicht hat dein Großvater deinen Vater getötet. Dieser Teil seiner Geschichte mag stimmen – allerdings vielleicht nicht der Grund, den er dir genannt hat. Ich meine, warum glaubst du seinem Wort, dass er deinen Vater dabei überrascht hat, wie du von ihm missbraucht wurdest? Es kann durchaus genau andersherum gewesen sein. Vielleicht war dein Großvater derjenige, der dich missbraucht hat.«
    Plötzlich ist etwas in meiner Kehle, eine glühende Enge, die kein Wort durchlässt. »Aber …«
    »Ich benutze nur Logik«, fährt Michael fort. »Du steckst so tief in der Sache drin, dass es schwer ist, die Emotionen beiseite zu schieben und klar zu denken. Ich glaube, niemand könnte das.«
    »Ich stimme dir zu, okay? Ich will selbst nicht glauben, dass mein Vater mich missbraucht hat. Ich sehne mich verzweifelt nach Beweisen, dass es nicht so gewesen ist. Doch die Vorstellung, dass Großvater mich missbraucht hat, ist für mich genauso ungeheuerlich. Er ist mehr oder weniger das Bild von Rechtschaffenheit in dieser Stadt. Berühmt dafür, wie treu er seiner Frau war.«
    »Was meine Argumentation vielleicht noch stichhaltiger macht, Cat. Kirkland musste keine Affären außerhalb des Hauses anfangen, weil er seine heimlichen Triebe zu Hause ausgelebt hat. Es ist oft so, dass Menschen, die Missbrauch begehen, nach außen hin, vor der Gemeinde, als wahre Unschuldsengel dastehen. Insbesondere in reichen Familien. Ich habe es erlebt.«
    »Was hat dich auf diese Gedanken gebracht, Michael?Waren es wirklich nur die Dinge, die ich dir heute Nacht erzählt

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