Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
habe?«
    »Offen gestanden, nein. Ich habe Geschichten über deinen Großvater gehört, so lange ich lebe. Ich kann nicht sagen, dass mir gefällt, was ich gehört habe. Alle Ärzte wollen Geld verdienen, aber sie sagen, Kirkland hätte es auf nichts anderes abgesehen gehabt als auf Geld. Die allgemeine Meinung hier in der Gegend lautet, dass er deine Großmutter allein wegen ihres Geldes und ihrer Stellung in der Gesellschaft geheiratet hat.«
    »Das sind die üblichen Gerüchte, wenn ein armer Junge in eine reiche Familie einheiratet. Und Großvater hat durch seine geschickte Geschäftspolitik das Vermögen der Familie verdoppelt! Ganz besonders die Einkünfte aus dem Öl.«
    Michael vergleicht die Informationen, die ich ihm gebe, mit anderen Dingen, die er weiß, das sehe ich. In neutralem Ton sagt er: »Die älteren Ärzte aus der Gegend sagen, dass er in seiner Zeit eine Menge fragwürdiger Behandlungen durchgeführt hat.«
    »Fragwürdig? In welcher Hinsicht?«, frage ich kleinlaut. Ich kann nicht anders.
    »Fragwürdig in der Hinsicht, dass sie unnötig waren. Zu viele entfernte Blinddärme, die sich als nicht entzündet herausstellten. Explorationsoperationen bei Bauchschmerzen. Sie erzählen, dass er jedem die Gallenblase herausgeschnitten hat, der auch nur annähernd so aussah, als hätte er einen Stein. Und tonnenweise Uterusextirpationen aufgrund von Gebärmutterfibromyomen. Auch meiner Mutter hat er den Uterus entfernt, kein Witz. Vergiss nicht, das war in den Fünfzigern und Sechzigern. Damals konnte ein Chirurg mehr oder weniger alles tun, was er wollte. Trotzdem wurde dein Großvater vor einen ärztlichen Untersuchungsausschuss gerufen.«
    »Wer hat dir das alles erzählt?«
    »Ich habe gestern Abend mit Tom Cage gesprochen. Er hat genau aus diesem Grund aufgehört, Patienten an Kirkland zu überweisen.«
    »Hat Dr. Cage irgendetwas über meinen Vater gesagt?«
    »Ja. Wie es scheint, hat Luke ihm viel über seine Erlebnisse im Krieg erzählt. Tom war in Korea; wahrscheinlich dachte dein Vater, Cage wäre ein verständnisvollerer Zuhörer als die meisten anderen.«
    »Was hat er Dr. Cage erzählt?«
    »Tom wollte mir keine Einzelheiten verraten. Er hat jedoch gesagt, dass er deinen Vater für einen guten Soldaten und einen guten Menschen hielt. Das hat mich nachdenklich gemacht. Wenn Tom Cage deinen Vater für einen guten Mann gehalten hat, kann ich ihn mir nur schwer als jemanden vorstellen, der sein Kind missbraucht. Ich sage nicht, dass er es nicht gewesen sein kann. Dr. Cage mag deinen Vater angesehen und einen gequälten Veteranen in ihm erkannt haben. Vielleicht hat ihn das für die anderen Fehler blind gemacht. Aber Tom möchte, dass du selbst zu ihm kommst und mit ihm redest. Ich denke, du solltest dir anhören, was er zu sagen hat.«
    »Das mache ich nur allzu gerne. Mein Gott, ich wünschte, wir hätten schon Morgen! Ich bin absolut nicht mehr müde.«
    »Da musst du nicht mehr lange warten.« Michel greift hinter sich und schaltet die Zimmerbeleuchtung ab. Nach ein paar Sekunden weicht das Schwarz im Fenster einem dunklen Blau. »Du hast sechs Stunden lang geschlafen.«
    Die Morgendämmerung ist angebrochen! Ich kann es kaum glauben.
    »Cat, da ist noch etwas, das ich dir sagen sollte.«
    »Was denn?«
    »Dein Großvater könnte Recht haben mit seiner Behauptung, dein Vater hätte dich missbraucht. Aber er könnte lügen mit seiner Behauptung, er hätte deinen Vater getötet.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es gibt andere mögliche Personen, die den Schuss abgegeben haben könnten.«
    Aus irgendeinem Grund dauert es einen Moment, bis ichbegreife, was Michael sagt. Aber dann dämmert es mir. »Meine Mutter?«, flüstere ich.
    Er nickt. »Wäre vorstellbar, oder? Sie verleugnet den Missbrauch jahrelang. Doch dann, eines Nachts, kommt sie unerwartet hinzu, während es geschieht. Vielleicht ist sie betrunken oder steht unter Beruhigungsmitteln. Es gibt Streit, sie reißt das Gewehr von der Wand und erschießt ihn.«
    »Während ich im Zimmer bin?«
    »Wir wissen nicht, ob du im Zimmer warst. Wie dem auch sei, anschließend schafft dein Großvater Lukes Leichnam in den Rosengarten und erfindet die Geschichte von einem Eindringling, um seine Tochter zu schützen. Wenn du mich fragst, ist dein Großvater ein Held, falls es sich so zugetragen hat.«
    »Wer sonst hätte es tun können? Pearlie?«
    »Sicher. Da liegen die gleichen psychischen Verdrängungsprozesse zu Grunde wie bei deiner Mutter.

Weitere Kostenlose Bücher