Bisswunden
andere Kinder in seinem Haus?«
»Nur ein Mädchen, soweit ich weiß. Sie war die Tante meines Großvaters, aber sie war nicht viel älter als er selbst.«
»Was ist aus ihr geworden?«
»Ich weiß es nicht. Sie starb, als ich noch klein war.«
Michael verschränkt die Arme und sitzt eine Weile schweigend da. »Hat deine Mutter nach dem Tod deines Vaters wieder geheiratet?«
»Nein.«
»Warum nicht? Sie war doch erst … wie alt? Dreißig?«
»Neunundzwanzig. Sie hat sich ein paar Mal mit Männern getroffen, aber keiner von denen war gut genug.«
»Nach wessen Meinung? Der Meinung deiner Mutter? Deiner? Oder der deines Großvaters?«
»Wahrscheinlich Großvaters. Jeder Mann in der Stadt hatte Angst vor ihm.«
»Was ist mit deiner Tante? Du hast erzählt, sie wäre bipolar?«
»Sie ist stark manisch-depressiv. Das vollständige Paket. Alkoholmissbrauch, Anzeigen wegen Ladendiebstahls, Promiskuität, drei gescheiterte Ehen. Ein großartiges Vorbild für mich.«
»Das alles könnte ein Hinweis auf sexuellen Missbrauch in ihrer Vergangenheit sein.«
»Es könnte «, sage ich mit gepresster Stimme. »Aber die Neigung zu dieser Art von Krankheiten hat eine genetische Komponente. Der Vater meines Großvaters war angeblich ebenfalls bipolar – der leibliche Vater, der bei dem Unfall ums Leben kam. Und ich bin zyklothym. Es könnte also auch an unseren Genen liegen und nicht unbedingt am Missbrauch.«
Michael will antworten, als mein Mobiltelefon auf dem Nachttisch zu vibrieren anfängt. Michael nimmt das Gerät und hält es mir hin, damit ich das Display ablesen kann. Es ist die gleiche Nummer in New Orleans, die auch vergangene Nacht angerufen hat. Ich nehme das Gespräch entgegen.
»Agent Kaiser?«, frage ich.
»Ja. Hallo, Cat. Tut mir Leid, dass ich Sie so früh stören muss.«
Warum ruft er mich an? Hat er herausgefunden, dass ich gestern Abend mit Malik telefoniert habe und nicht mit Sean? »Was gibt es denn?«
»Ich habe Informationen für Sie. Es wird wahrscheinlich ein Schock für Sie, deshalb …«
»Sparen Sie sich die Vaseline. Was ist passiert?«
»Mehrere Dinge. Erstens fanden wir gestern Abend heraus, dass Nathan Malik die Kaution für seine Freilassung nicht allein bezahlt hat.«
»Ich verstehe nicht …«
»Eine Kaution über eine Million Dollar bedeutet, dass Malik wenigstens hunderttausend Dollar in bar und den Rest in Form von Sicherheiten hinterlegen muss. Auf dem Papier sah er ziemlich wohlhabend aus, also haben wir nicht genauer hingesehen, woher das Geld kommt, als er sein Haus auf der anderen Seite des Lake Pontchartrain als Sicherheit anbot. Doch Ihr Freund Sean hat gestern Abend mit dem Kautionssteller geredet – um ein paar letzte Details zu überprüfen. Und dabei hat sich herausgestellt, dass der größte Teil der hunderttausendDollar nicht von Malik, sondern von jemand anderem gekommen ist.«
»Von wem?«
»Von Ihrer Tante. Ann Hilgard.«
38
I ch habe das Gefühl, als stürze ich in einen Aufzugsschacht und als käme mir der Boden entgegen. Die Vorstellung, dass meine Tante die Kaution für Nathan Malik bezahlt haben soll, ist völlig undenkbar.
»Das muss ein Irrtum sein.«
»Kein Irrtum«, entgegnet Kaiser. »Ann Hilgard, geborene Kirkland. Wohnhaft in Biloxi, Mississippi. Zwei Stunden Fahrtzeit von New Orleans. Sie hat dem Kautionsverwalter einen Koffer voller Bargeld gebracht.«
Mein Mund steht offen, doch ich bringe kein Wort über die Lippen. Die Implikationen von Kaisers Enthüllung sind zu atemberaubend, als dass ich sie so schnell begreifen könnte. »Warum hat Sean mich nicht angerufen und mir das gesagt?«
»Das sollten Sie vielleicht Detective Regan fragen, nicht mich.«
Nein danke.
»Ich habe erst vor wenigen Minuten erfahren, dass sie Ihre Tante ist, Cat. Anne DeSalle Kirkland, Tochter von William Kirkland, Schwester von Gwendolyn DeSalle Kirkland Ferry. Tante mütterlicherseits von Catherine DeSalle Ferry, forensische Odontologin. Ist Ihre Tante eine Patientin von Dr. Malik? Ist das der Grund, aus dem Sie eine besondere Beziehung zu ihm haben?«
»Wenn Tante Ann eine Patientin von Nathan Malik ist, dannhabe ich bis vor zehn Sekunden nicht die geringste Ahnung davon gehabt, Agent.«
»Sie hat definitiv die persönliche Geschichte, um bei ihm in Behandlung zu sein. Diagnostizierte bipolare Persönlichkeitsstörung seit dreißig Jahren. Eine Serie gescheiterter Ehen …«
»Mein Gott …«, hauche ich. »Kein Wunder, dass Malik so viel über
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