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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Vorort von New Orleans, und habe einen Schnapsladen angesteuert.
    Ich war im Laden, ohne etwas zu kaufen. Ich habe dort gestanden und die Flaschen mit Grey Goose angestarrt, jenes Bild mit den blau-weißen Gänsen über den französischen Alpen, das ich kenne wie mein eigenes Gesicht. Die französische Fahne, das Milchglas, der blaue Deckel. Ich habe die Hand nach einer 750-Milliliter-Flasche ausgestreckt, als stünde ich unter einem hypnotischen Zwang, doch im allerletzten Moment habe ich mich abgewendet und bin aus dem Laden gerannt.
    Jetzt sitze ich vor dem Laden in meinem Audi und halte ein Mobiltelefon in meinen zitternden Händen. Die Kassiererin denkt wahrscheinlich, dass ich einen Überfall vorbereite. Oder vielleicht hat sie schon mehr als einen Alkoholiker auf Entzuggesehen, die gegen das gleiche Problem angekämpft haben wie ich jetzt.
    Es ist nicht der körperliche Entzug, der mich jetzt zittern lässt.
    Es ist Malik.
    Ich habe Michael versprochen, dass ich Sean zu dem Treffen mitnehme, doch ich habe Sean nicht angerufen. Ich will ihn nicht wiedersehen. Ich glaube sowieso nicht, dass ich ihn für dieses Treffen brauche. Die Chancen, dass Dr. Malik mich angreift, sind minimal, und ich bin bewaffnet. Was mich zum Zittern bringt ist die Aussicht, endlich die Wahrheit über mich selbst zu erfahren. Was immer Malik weiß, es wird mein Bild von mir selbst unwiderruflich verändern.
    Das ist doch genau der Grund, aus dem du gekommen bist, oder?, fragt eine Stimme in meinem Kopf.
    Mit einem leisen Fluch steige ich aus und gehe zu dem Münztelefon neben dem Schnapsladen. Ich wähle die Nummer, die Malik mir gegeben hat. Es läutet viermal, und als ich schon denke, dass sich jeden Augenblick der Anrufbeantworter einschaltet, nimmt Malik ab.
    »Catherine?«
    »Ja.«
    »Sind Sie fünf Meilen vor New Orleans?«
    »Nein. Ich stehe vor einem Schnapsladen auf dem Williams Boulevard.«
    »Ist das in der Nähe des Flughafens?«
    »Ja.«
    »Gut. Ich bin in einem Motel, eine Meile vom Flughafen entfernt. Es nennt sich Thibodeaux. Es ist eine Absteige mit einem grellen orangefarbenen Schild, eine Meile an der Abfahrt zum Flughafen vorbei, auf der rechten Seite. Glauben Sie, Sie können es finden?«
    »Ich habe es schon mal gesehen.«
    »Es gibt nur ebenerdige Zimmer. Ich habe Zimmer Nummer achtzehn.«
    »Soll ich direkt vor Ihrem Zimmer parken?«
    »Ja. Ich werde nach Ihnen Ausschau halten.«
    Ich will auflegen, doch ich spüre, dass er auf etwas wartet. »Dr. Malik?«
    »Ja?«
    »Wissen Sie, wer mich missbraucht hat?«
    »Ja und nein.«
    Scheiße. »Treiben Sie immer noch Spielchen mit mir?«
    »Sie sind diejenige, die die Antwort weiß, Catherine. Erinnern Sie sich, was ich Ihnen über Traumata erzählt habe? Die Erinnerungen sind unterdrückt, aber sie sind da. Sie sind unauslöschlich. Sie warten nur darauf, dass Sie sie ausgraben. Und ich werde Ihnen dabei helfen.«
    »Heute?«
    »Heute. In ein paar Minuten werde ich Sie über den Lethe führen, in die Unterwelt. Und danach führe ich Sie zurück in die Welt des Lichts. Wenn Sie zurückgekehrt sind, dann sind Sie wieder eins mit Ihrer Seele. Und mit Ihren Erinnerungen ebenfalls.«
    Meine Handflächen sind nass und klamm vom Schweiß. Maliks Worte haben meine Unruhe nicht gemildert, sondern im Gegenteil noch verstärkt.
    »Haben Sie keine Furcht, Catherine. Sind Sie auf dem Weg?«
    »Ja.«
    »Trinken Sie?«
    »Ich bin stocknüchtern. Viel zu nüchtern.«
    Er kichert leise. »Wir sehen uns, sobald Sie hier sind.«
    Die Leitung ist tot.
    Ich werfe einen letzten Blick auf den Eingang des Schnapsladens – wir akzeptieren jede kreditkarte –, dann steige ich in den Wagen und starte den Motor. Bevor ich jedoch vom Parkplatz fahre, öffne ich meine Handtasche, nehme die Flasche mit dem Valium hervor und lasse eine Tablette in meine feuchte Hand rollen. Mit der linken Hand auf demBauch flüstere ich: »Verzeih mir, Baby. Nur noch diese eine.« Dann schlucke ich die Pille ohne Flüssigkeit herunter.
    Schließlich setze ich zurück und fädele mich in den Strom von Fahrzeugen ein, die in Richtung Flughafen rollen.
    Malik hat Recht. Das Thibodeaux ist eine heruntergekommene Absteige. Ein Flachbau mit durchhängendem Dach; die Türen zu den einzelnen Zimmern sind in grellem Orange gestrichen. Drei Fahrzeuge stehen auf den Parkplätzen davor, ausnahmslos Wracks. Ich parke vier Türen von Zimmer achtzehn entfernt und steige aus. Die Luft stinkt nach Flugbenzin und Fastfood. Draußen

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