Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
auf dem Williams Boulevard herrscht reger Verkehr, doch wenn ich die Walther dicht an meinen Oberschenkel gepresst halte, ist sie kaum zu sehen.
    Über mir steigt eine 727 donnernd in den Himmel hinauf, während ich mich der Tür nähere. Ich hebe die Hand, um zu klopfen, und plötzlich höre ich das Geräusch von Regen, der in meine Richtung kommt. In New Orleans kann es von einer Sekunde auf die andere ohne Vorwarnung regnen, aber heute kocht der Asphalt in strahlendem Sonnenlicht. Es ist wieder meine Halluzination … Regen auf einem Blechdach. Das prasselnde Geräusch ist lauter als die Fahrzeuge, die dreißig Meter entfernt auf der Straße vorbeirauschen.
    Achte nicht darauf. Das Ende deiner Halluzinationen wartet auf der anderen Seite dieser Tür.
    Ich schiebe eine Patrone in die Kammer der Walther, dann klopfe ich entschlossen an die orangefarbene Tür. Sie bewegt sich ein paar Zentimeter unter der Wucht meines Klopfens.
    »Dr. Malik?«
    Keine Antwort.
    Jetzt wünschte ich, ich hätte Sean angerufen. Das kommt davon, wenn man die Nase zu hoch trägt. Ich hebe die Waffe, trete die Tür auf und springe in den Raum, während ich gleichzeitig in alle Ecken zu sehen versuche und mich überzeuge, dass keine Gefahr lauert.
    Das Zimmer sieht genauso aus, wie ich es mir vorgestellt habe: ein giftig grüner, abgetretener Teppich, ein Doppelbett, ein Fernseher auf einem Fuß. Auf der anderen Seite führt eine Tür unter einem Spiegel ins Bad.
    Kein Malik.
    Ich durchquere das Zimmer und trete die Tür zum Bad auf, die Walther schussbereit vor mir.
    Malik liegt in der Badewanne.
    Er ist vollständig angezogen – ganz in Schwarz, was sonst –, und die weißen Kacheln über seinem kahlen Schädel sind besudelt mit rotem Blut und grauer Hirnmasse.
    Mein anfängliches Entsetzen weicht nackter Panik, als ich sehe, dass das Blut immer noch an den Kacheln nach unten rinnt. Wer immer Malik ermordet hat, könnte noch ganz in der Nähe sein. Ich wirbele herum in Richtung des Zimmers, als mir die Pistole in Maliks Hand auffällt.
    Selbstmord?
    Ich kann es nicht glauben.
    Doch dann sehe ich den Schädel in seinem Schoß. Es ist ein menschlicher Schädel, vollkommen bar jeglichen Gewebes, sauber und weiß wie die Schädel in den Vorlesungen über Orthopädie. Malik hält ihn in den Händen wie ein Baby. Die Mandibula wird von Federn und Schrauben an der Maxilla gehalten. Arterien und Venen sind in Rot und Blau auf die weißen Knochenplatten gemalt. Der Schädel scheint ein leichtes ironisches Grinsen zu zeigen, wie alle Totenschädel, doch dieser hier, das spüre ich, versucht mir etwas zu sagen. Es gibt einen Grund dafür, dass er hier ist, und er will, dass ich diesen Grund erfahre.
    Ich starre in Maliks Gesicht auf der Suche nach einem Hinweis, doch Malik kann sich jetzt nicht einmal mehr selbst helfen. Die einst durchdringenden Augen des Psychiaters sind so tot wie die Glasaugen eines ausgestopften Hirschkopfs. Während ich noch das Gesicht des Toten anstarre und krampfhaft nach einer Erklärung suche, bewegt sich Maliks Brustplötzlich und unerwartet, und sein Kopf fliegt nach vorn wie von einer Schnur gezogen.
    Die Walther ruckt in meiner Hand.
    Das ganze Badezimmer dröhnt wie eine Sprengstoff-Testkammer.
    Und alles wird weiß.

42
    I ch bin schneeblind.
    Ich bin in einem Meer aus Weiß, und mein Schädel pocht unablässig vor Kälte. Irgendwo weit weg ruft jemand meinen Namen.
    »Dr. Ferry …? Catherine!«
    Die Stimme klingt irgendwie vertraut, doch ich kann nicht mehr sehen.
    Der Wind brennt auf meinem Gesicht.
    Ein dunkler Blitz schießt durch das Weiß, und dann rahmt schmutziggelbes Licht ein verschwommenes Gesicht ein. »Dr. Ferry? Können Sie mich hören?«
    Ja … hierher!
    »Cat? Ich bin es. John Kaiser. Special Agent John Kaiser vom fbi.«
    Er ist es. Es ist John Kaiser. Seine haselnussbraunen Augen sind nur Zentimeter von den meinen entfernt.
    »Was ist passiert?«, frage ich.
    »Das weiß ich nicht. Wir hatten gehofft, Sie könnten es uns erzählen.«
    Ich blinzle wegen des gelben Lichts und versuche zu erkennen, wer »wir« ist und wo ich bin. Ich scheine an eine Badewanne gelehnt auf dem Boden zu sitzen, neben mir eine Kommode, die Beine lang ausgestreckt durch eine offene Tür.Hinter Kaiser steht ein Sanitäter, und dahinter erkenne ich das dunkle Gesicht von Carmen Piazza, Chefin des Morddezernats der nopd. Piazza wirkt wütend.
    »Sind Sie verwundet?«, fragt Kaiser. »Wir konnten keinerlei Verletzungen

Weitere Kostenlose Bücher