Bisswunden

Totenschädel mit gekreuzten Knochen auf ihren Unterleib gemalt, ungefähr dort, wo ihre Ovarien sind. Neben ihrem Leichnam lag ein Marker.«
    Zum ersten Mal spüre ich die Tränen in meinen Augen brennen.
    »Das verrät Ihnen etwas?«, fragt Kaiser.
    »Ann war davon besessen, ein Baby zu bekommen. Sie konnte nicht schwanger werden.«
    »Mit sechsundfünfzig war sie noch besessen, ein Baby zu bekommen?«
    »Nein. Aber sie ist nie darüber hinweggekommen, dass es nicht geklappt hat. Mein Großvater hat eine Notfall-Appendektomie an ihr vorgenommen, in ebendieser Klinik, als Ann zehn Jahre alt war. Er hat immer behauptet, die Infektion damals hätte sie unfruchtbar gemacht. Die Infektion hätte ihre Eileiter blockiert. Ich glaube, eine Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt hat diese Annahme bestätigt. Wie dem auch sei, als sie schließlich den Gedanken an ein Baby aufgab, starb sie innerlich.«
    Kaiser weiß nicht, was er davon halten soll. Ich wende mich zu Hannah. »Ich frage mich, ob diese Appendektomie in Wirklichkeit eine Abtreibung gewesen sein könnte.«
    Hannah sitzt schweigend da, während ihr Verstand dieDinge durchgeht, die sie über meine Familie weiß. »Zehn ist zu jung, um schwanger zu werden«, sagt sie schließlich. »Ich bin sicher, dass es völlig unmöglich ist.«
    »Erneut sexueller Missbrauch also«, sagt Kaiser. »Das ist der Grund, warum Ihre Tante Ann eine Patientin von Nathan Malik war, ist das richtig?«
    »Das wissen wir nicht mit Sicherheit«, entgegne ich. »Sie könnte ihn auch wegen ihrer manisch-depressiven Persönlichkeitsstörung aufgesucht haben.«
    »Wir müssen herausfinden, was der Grund war. Ich möchte, dass wir eine Autopsie an ihr vornehmen, so schnell es irgendwie geht. Wäre eine verpfuschte Abtreibung nach all den Jahren noch feststellbar?«
    »Möglich«, sagt Hannah. »Es kommt darauf an, welche Art von Fehler gemacht wurde. Nach vierzig Jahren ist es basierend allein auf pathologischen Erkenntnissen schwierig zu entscheiden, ob die Narben von einer Infektion oder von einer Abtreibung herrühren. Außerdem besteht die Möglichkeit später vorgenommener Abtreibungen. Die Frage ist meiner Meinung nach akademisch – wenn Ann erst zehn Jahre alt war, kann sie nicht schwanger gewesen sein.«
    »Sie müssen mit meiner Mutter reden«, sage ich leise. »Was Ann betrifft, ist sie die Einzige, die sich mit privaten Details auskennt.«
    Hannah scheint wegen irgendetwas verwirrt. »Warum«, fragt sie langsam, »warum gab es in einer winzigen Klinik auf einer ländlichen Insel genügend Morphium, um einen Menschen zu töten?«
    »Das habe ich mich auch gefragt«, sagt Kaiser.
    »Haben Sie jemals einen Unfall mit einer Kettensäge gesehen?«, entgegne ich. »Das ist manchmal so schlimm wie eine Kriegsverletzung. Eine Kettensäge kann innerhalb von zwei Sekunden einen Arm oder ein Bein abtrennen.«
    Diese Antwort scheint Kaiser zufrieden zu stellen. Er hat als Soldat in Vietnam gedient.
    »Was haben Sie als Nächstes vor?«, frage ich ihn, während ich überlege, wie ich von hier verschwinden kann.
    »Wir werden die Autopsie Ihrer Tante vorantreiben, wenn es irgendwie geht. Ihr Leichnam befindet sich bereits im Leichenschauhaus von Jackson, Mississippi. Ich muss sicher sein, dass es kein Mord war. Sie war Malik zu nah, um diese Möglichkeit außer Acht zu lassen.«
    »Ich möchte den Autopsiebericht sehen.«
    »Ich denke eigentlich, dass Sie noch zugegen sind, wenn wir den Bericht erhalten. Captain Piazza will Sie noch immer einsperren.«
    Jetzt ist offensichtlich nicht der günstigste Zeitpunkt, ihn zu fragen, ob ich gehen darf.
    »Ich sage Ihnen, was ich möchte«, fährt Kaiser fort. »Ich möchte diesen Film, den Malik gemacht hat. Wenn wir diesen Film haben, dann haben wir auch unseren Killer.«
    »Film?«, fragt Hannah. »Nathan Malik hat einen Film gemacht?«
    »Einen Dokumentarfilm über sexuellen Missbrauch und unterdrückte Erinnerung«, antworte ich. »Er zeigt eine Gruppe weiblicher Patienten, die ihren Missbrauch erneut durchleben, und eine Reihe anderer Dinge, die Malik mir nicht verraten wollte. Er sagte, es würde die Nation in den Grundfesten erschüttern, was das Problem des Missbrauchs angeht.«
    »Diesen Film würde ich gerne sehen.«
    »Cat glaubt, dass der Killer ein Mitglied dieser Frauengruppe ist«, sagt Kaiser. »Malik nannte sie Gruppe X. Ich denke, dass Ann Hilgard möglicherweise Mitglied dieser Gruppe war.«
    »Gruppe X?«, echot Hannah.