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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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das Wasser trifft.
    Als Daddy sicher ist, dass ich erkannt habe, was es ist, reißt er seine Brust noch weiter auseinander. Er greift in seine Brust und zieht eine Rice Creature hervor wie ein Tierarzt, der einem Pferd bei einer schwierigen Geburt hilft. Es ist nicht irgendein Stofftier, das Daddy hervorzieht. Es ist mein Lieblingstier: Lena die Leopardin. Das Stofftier, das ich Daddy in den Sarg gelegt habe, bevor er beerdigt wurde, damit er im Himmel nicht so allein ist.
    Ich will zu ihm rennen und ihm Lena aus den Händen nehmen, doch meine Tür lässt sich nicht öffnen. Während ich hinstarre, hält Daddy Lena in die Höhe, sodass ich ihren Bauch sehen kann. Er sieht irgendwie eigenartig aus. Je weiter sich Daddy dem Rand des Teichs nähert, desto besser kann ich es erkennen. Lenas Bauch hat einen Y-förmigen Schnitt, genau wie Daddys Brust. Ohne den Blick von mir zu nehmen, bohrt Daddy die Finger in den Schnitt, dann reißt er Lenas Bauch auf.
    Ich schreie.
    Hellrotes Blut strömt aus Lenas Bauch, mehr Blut, als irgendeine Puppe auf der Welt enthalten könnte. Irgendwie weiß ich, dass es das Blut meines Daddys ist. Er wird zuerst bleich, während ich hinstarre, dann grau, und dann fängt er langsam an einzusinken. Das Wasser scheint ihn nicht länger zu tragen.
    »Daddy!« , kreische ich. »Daddy, warte! Ich komme!«
    Er versinkt weiter, und sein Gesicht ist so traurig, wie ich es nie zuvor gesehen habe.
    »Ich kann dich retten, Daddy!«
    Ich reiße mit all meiner Kraft am Türgriff des Trucks, doch die Tür will und will sich nicht öffnen lassen. Ich hämmere mitden Fäusten gegen die Scheibe, bis meine Knöchel aufplatzen, doch es nutzt alles nichts. Und dann ergreifen weiche Hände meine Handgelenke und halten sie fest.
    »Catherine? Wachen Sie auf, Cat. Sie müssen aufwachen.«
    Ich schlage die Augen auf.
    Hannah Goldman steht über meine Pritsche gebeugt und hält meine Hände. Dr. Goldman hat die freundlichsten Augen auf der ganzen Welt.
    »Ich bin es, Hannah«, sagt sie. »Können Sie mich verstehen, Cat?«
    »Ja.« Ich lächle sie an, mein allerbestes Lächeln, damit sie weiß, dass alles in Ordnung ist mit mir. Ich habe kein Problem damit, dass Hannah hier bei mir ist, auch wenn ich das alles nur träume.
    »Ich bin gekommen, weil ich Ihnen etwas Wichtiges sagen muss«, sagt Hannah.
    Ich nicke verstehend. »Natürlich. Was denn?«
    »Agent Kaiser hat mich gebeten zu kommen. Ich denke, das war sehr klug von ihm.«
    »Sicher«, stimme ich ihr zu. »Kaiser ist ein kluger Mann. Ein sehr kluger Mann.«
    Dr. Goldman sieht mich beinahe so traurig an wie vorhin mein Vater. »Cat, Sie wissen, dass ich für Offenheit bin und für Aufrichtigkeit, doch das Leben findet immer einen Weg, unsere Überzeugungen zu prüfen. Es gibt keinen einfachen Weg, Ihnen das zu sagen.«
    Ich lächele aufmunternd und tätschele ihre Hand. »Es ist okay. Ich bin stark. Sie wissen, dass ich stark genug bin, um es zu vertragen.«
    »Sie sind stark.« Hannah lächelt zurück. »Sie müssen jetzt vielleicht meine stärkste Patientin sein. Was ich Ihnen zu sagen habe ist Folgendes. Ihre Tante Ann ist tot.«
    Mein Lächeln wird noch breiter. »Nein, ist sie nicht. Ich hab eben noch mit ihr telefoniert.«
    »Ich weiß, dass Sie mit ihr telefoniert haben, meine Liebe.Doch das war nicht eben, sondern gestern Nachmittag. Sie haben eine ganze Weile geschlafen. Und irgendwann gestern Abend ist Ihre Tante nach DeSalle Island gefahren und hat sich mit einer Überdosis Morphium das Leben genommen.«
    Das Lächeln erstarrt mir im Gesicht. Es ist nicht Dr. Goldmans ernste Stimme, und es sind nicht ihre traurigen Augen, die mich überzeugen. Es ist das Morphium. Und die Insel.

45
    H annah Goldman ist um die fünfzig. Sie hat graue Strähnen im Haar und tiefe Linien in den Augenwinkeln. Ihre Augen sind freundlich, doch die Intelligenz dahinter ist messerscharf. Wenn man unter Hannahs Blick sitzt, fühlt man sich schnell wie ein Kind unter der Obhut einer liebenden Mutter – oder wie ein kleines Säugetier unter dem prüfenden Blick eines Wissenschaftlers, der im Begriff steht, eine Vivisektion durchzuführen. Agent Kaiser hat wahrscheinlich gut daran getan, sie herzubringen, doch nun, da sie mir die Nachricht von Anns Tod überbracht hat, will ich mit Kaiser reden. Psychiatrie kann meine gegenwärtige Matrix von Problemen nicht lösen.
    Ich setze mich auf meiner Pritsche auf und schwinge die Beine zur Seite. Meine Füße stecken noch in Socken.

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