Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
die Insel? Aber … Pearlie hasst die Insel!«
    »Na und? Sie ist jedenfalls zur Insel gefahren, gleich nachdem sie die Nachricht von Anns Tod erhielt. Ich muss jetzt Schluss machen, Cat. Falls wir uns heute Nachmittag nicht sehen, sei bitte wenigstens bei der Beerdigung. Ann würde dich dabeihaben wollen.«
    Als würde ich das Begräbnis meiner Tante versäumen! »Mom, warum bin ich immer mit Großvater in diesem alten Truck über die Insel gefahren?«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich habe einen ständig wiederkehrenden Traum von einem rostigen alten Pick-up, in dem ich mit Großvater über die Insel fahre, und es regnet immer.«
    »Oh …«, sagt sie, und ihre Stimme klingt plötzlich melodisch. »Daddy war immer so angespannt, wenn es geregnet hat, weil niemand arbeiten konnte. Du warst die Einzige, die ihn beruhigen konnte. Er ist mit dir über die Insel gefahren und hat dir die Vögel und das Vieh und das Wild gezeigt, und wenn ihr zurück wart, konnte man ihn wieder ertragen. Ich glaube, Kinder sind das Einzige, was Männer davon abhält, ganz zu Wilden zu werden. Ich wünschte nur …«
    »Mom«, unterbreche ich sie und beende, was zu einem endlosen Monolog zu werden droht. »Versuch heute Nachmittag zu Hause zu sein, okay?«
    »Bye-bye, Darling.«
    Ich lege auf und gebe Michael das Telefon zurück. Ich bin mehr benommen als aufgebracht. John Kaiser hat mir meine Mutter als außer sich wegen Anns Tod beschrieben. Außerdem hätte sie den Verdacht geäußert, dass Anns Ehemann sieumgebracht hat, doch jetzt klingt Mom, als stünde sie unter Thorazin. So klang sie früher häufig, als ich ein Kind war. Geistesabwesend, gelangweilt, nicht bei der Sache. Ruhig gestellt. Aus irgendeinem Grund vermute ich, dass mein Großvater die Hand im Spiel hat. Wie leicht es für ihn doch ist, Mutter einen Schuss zu verpassen und die Unbequemlichkeit ihrer Emotionen aus seinem Alltag zu verbannen.
    »Cat?«
    »Es geht mir gut, Michael. Könntest du über die Insel fliegen? Oder ist der Umweg zu groß?«
    »Na ja, der Fluss liegt am linken Horizont. Du hast gesagt, die Insel läge gegenüber dem Angola State Prison?«
    »Genau südlich davon.«
    Er legt die Cessna in eine weite Kurve nach Westen, und fast im gleichen Augenblick erkenne ich das silberne Band des Flusses weit voraus.
    »Kannst du tiefer fliegen?«
    »Sicher. Wir können über die Baumwipfel streichen, wenn du magst.«
    »Nein danke. Nur tief genug, um Autos und Leute zu erkennen.«
    Michael lacht und geht in einen Sinkflug über.
    Bald ist der Fluss eine große silberne Schlange, die sich durch ein weites, grünes Tal windet. Auf dem diesseitigen Ufer ziehen sich endlose Wälder über die Hügelketten. Auf dem anderen Ufer erstrecken sich ebene Baumwoll- und Sojafelder, so weit das Auge reicht. Der Fluss durchschneidet das Land mit unerbittlicher Willkür, fast, als wollte er den Kontinent nachträglich zerteilen.
    »Kannst du dir vorstellen, dass wir erst vorgestern Nacht dort unten waren?«, frage ich Michael. »Oder was seitdem alles passiert ist?«
    Michael legt das kleine Flugzeug ein wenig zur Seite und blickt nach unten. »Ich kann nicht glauben, dass du durch diesen Fluss geschwommen bist. Ich meine, das ist absolut irre!«
    »Kannst du die Insel sehen?«
    »Ich sehe ein halbes Dutzend Inseln.«
    »DeSalle Island ist vier Meilen lang.«
    Michael stößt einen leisen Pfiff aus. »Ich glaube, ich habe die ganze Zeit darauf gestarrt, ohne es zu bemerken. Dort ist das Angola Prison. Dann muss das dort DeSalle Island sein.«
    Ich kann von meiner Seite aus nichts erkennen, und Michael bemerkt es rasch. Er legt das Flugzeug auf die andere Seite und senkt die Nase, und plötzlich schießen wir hinunter auf die lang gestreckte, hügelige Masse der Insel wie ein Kampfflugzeug bei einem Bodenangriff.
    »Wie hoch sind wir?«
    »Ich bleibe bei hundertfünfzig Metern. Von hier aus kannst du alles sehen, was du willst.«
    Innerhalb weniger Sekunden jagen wir über die Insel. Ich habe DeSalle Island schon häufiger aus der Luft gesehen. Einmal vor langer Zeit aus dem Cockpit eines Crop Dusters, eines Sprühflugzeugs, und später noch einmal aus dem Korb eines Heißluftballons. Der heutige Flug erinnert mich an den Crop Duster, und die Landschaft unter mir bleibt mit hundert Meilen in der Stunde zurück. Ich erkenne das Jagdcamp, den See, die Lodge meines Großvaters, die Weiden und den Teich, und dann kurven wir nach links, um dem möglicherweise verbotenen Luftraum

Weitere Kostenlose Bücher