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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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sich noch immer mit dem Playboy beschäftigt.
    »Es ist eigenartig. So altmodisch. Die Kameras und die Autos.«
    »Ja, sicher. Ich weiß, dass das alles ist, was dich interessiert.«
    »Na ja, Lola Falana sieht auch nicht schlecht aus, wie ich gestehen muss.«
    »Lola Falana ist eine Schwarze, richtig?«
    »M-hm.« Michael hält das Magazin hoch. Ich erkenne eine kleine, gut proportionierte Frau mit einem Afrolook auf einem Pferd.
    Ich binde die Umschläge wieder mit dem gelben Band zusammen, dann wende ich mich den getrockneten Pflaumen zu. Sie sind verschrumpelt, dehydriert und schwarz und sehen aus wie irgendwas, das ich als kleines Mädchen am Abend von Halloween mit nach Hause gebracht habe, bevor es üblich wurde, Süßigkeiten im Laden zu kaufen. Das Fotoalbum scheint die nächste logische Wahl, doch irgendwie bin ich noch nicht bereit dazu. Ich gehe flüchtig die Karten durch. Die oberste zeigt die vietnamesisch-kambodschanische Grenze westlich von Saigon. Die nächste zeigt einen Ort namens A Shau Valley. Auf dieser Karte sind handschriftlich Namen notiert: Eagle’s Nest, Berchtesgaden, Currahee, Hamburger Hill. Neben den Namen sind Erhebungen notiert: obj Perry – 639, obj Hoptown – 670, Eagle’s Nest – 1487. Darunter stehen weitere Namen: Dong So, Ale Ninh, Rao Lao. Ich habe das Gefühl, dass eine Menge amerikanischer Soldaten an diesen Orten den Tod fanden und dass sie vielleicht offiziell überhaupt nicht dort sein durften. Während ich die Karte studiere, wird mir nach und nach bewusst, dass ich auf das Grenzgebiet zwischen Vietnam und Laos blicke.
    »Du lieber Himmel!«, ruft Michael plötzlich und hält mir den Playboy zum Lesen hin. »Ein Interview mit Tiny Tim und eine Story von Nelson Algren. Das ist bizarr. Möglich, dass dein Vater den Playboy lediglich wegen der Artikel gekauft hat.«
    »Du bist eine große Hilfe.«
    »Tut mir Leid. Ich dachte, du möchtest vielleicht nicht, dass ich durch diese Sachen wühle, bevor du sie nicht selbst überprüft hast.«
    »Du hast Recht. Entschuldige.«
    Ich bin durch – bis auf das Skizzenbuch und das Fotoalbum. Ich will gerade mit dem Album weitermachen, als Michael sich erneut zu Wort meldet – diesmal mit einer Stimme, die ich kaum wieder erkenne.
    »Cat?«
    Als ich aufblicke, ist Michael ganz blass. »Was ist denn los?«
    Er schüttelt den Kopf, dann reicht er mir das Magazin. Zwischen zwei Seiten klemmen drei Fotografien. Jede zeigt ein anderes Kind. Zwei davon sind Jungen im Alter von sechs oder sieben Jahren. Das dritte Foto zeigt ein dunkelhaariges Mädchen von ungefähr fünf Jahren.
    Alle drei Kinder sind nackt.
    »Bist du das?«, fragt Michael.
    Meine Augen schwimmen plötzlich in Tränen. »Nein.«
    Der Knabe auf einem der Bilder scheint die Kamera nicht zu bemerken, doch der andere blickt verängstigt drein. Er hält seinen kleinen Penis, als müsste er urinieren, doch ich kann fast sehen, wie der Mann hinter der Kamera ihm befiehlt, sich selbst anzufassen.
    Mein Magen dreht sich um. Ich will es unterbinden, doch ich kann nicht. Ich lasse das Magazin fallen, rappele mich auf die Beine und stolpere in eine Ecke, wo ich mir die Seele aus dem Leib kotze. Als ich nach Luft schnappend, spuckend und atemlos wieder hochkomme, berührt mich jemand am Arm.
    Ich wirbele herum und schlage um mich. Ich treffe Michael mitten ins Gesicht.
    Er blinzelt überrascht, doch er versucht nicht, sich zu verteidigen. Ich hole aus, um erneut und mit all meiner Kraft zuzuschlagen, doch irgendetwas packt mitten im Schwung mein Handgelenk und hält es eisern fest.
    Michaels Hand.
    »Cat?«, fragt er leise. »Ich bin es, Michael.«
    Mit der Urgewalt einer Explosion dringt ein Schrei ausmeiner Kehle, aus einer Tiefe unterhalb meiner Brust, unterhalb meines Zwerchfells. Der Schrei ist das, was meine Faust gewesen wäre, hätte sie Michaels Gesicht getroffen. Ein Blitz aus Wut und Demütigung und anderen Dingen, die ich nicht benennen kann. Als der Schrei endlich abbricht, verharrt meine zitternde Faust noch immer wenige Zentimeter vor Michaels Gesicht.
    »Ich denke, wir sollten von hier verschwinden«, sagt er leise. »Wir können bei mir zu Hause in Ruhe über dieses Zeug reden.«
    Ich antworte nicht.
    »Ich nehme den Beutel. Wir sollten ihn nicht hier zurücklassen.«
    Er drückt meine Hand nach unten, neben meinen Leib, dann lässt er los und kniet nieder. Er schiebt alles zurück in den grünen Seesack, dann führt er mich am Handgelenk zwischen den Skulpturen

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