Bisswunden
ja das reinste Museum! Ein privates Museum.«
Der Anblick all des polierten Metalls, von den Händen meines Vaters in abstrakte Formen voller Schönheit gezwängt, ist beinahe zu viel für mich. Als der Geruch mir in die Nase steigt – der Geruch nach Heu, den Daddy nie ganz aus der Scheune hat verbannen können –, werden meine Knie weich. Selbst seine Werkzeuge sind noch hier, der Schneidbrenner mit den großen Gasflaschen, die Metallsäge …
»Cat? Alles in Ordnung?«
Ich klammere mich an Michaels Arm und wage einen Schritt in die Scheune. »Ich muss diese Skulpturen nicht gerade jetzt sehen. Es ist zu viel, verstehst du?«
»Ja. Selbst ich bin überwältigt, wie ich gestehe, und ich kannte deinen Vater nicht einmal. Wusstest du, dass all das hier steht?«
»Eigentlich nicht, nein. Mein Großvater muss den Verstand verloren haben. Er mochte die Arbeiten meines Vaters nie. Und jetzt kauft er den gesamten Markt leer.«
»Möchtest du noch immer nach dem Beutel suchen?«
»Verdammt, ja! Das ist schließlich der Grund, aus dem wir hier sind!«
Rasch bahne ich mir einen Weg zwischen den Skulpturen hindurch zum Fuß des Pfeilers, neben dem mein Vater in meinem Traum gehockt hat. Es ist beinahe unheimlich, dieses Gefühl, an der richtigen Stelle zu stehen. Wenn dieser Beutelunter den Dielen versteckt liegt, dann war mein Traum genau das, was Nathan Malik als eine »unterdrückte Erinnerung« beschrieben hat. Tief vergraben, doch vollständig intakt. Und wahr.
»Die Axt?«
Michael reicht mir die Axt wie eine OP-Schwester, die dem Chirurgen einen Wundhaken gibt. Mit dem Kopf drücke ich das eine Ende der ersten Diele nach unten, die ich meinen Vater im Traum habe berühren sehen. Als sich das andere Ende des Brettes ein wenig hebt, stockt mir das Herz. Hastig klemme ich den Schuh in die Lücke und halte das Brett auf diese Weise, dann greife ich nach unten und ziehe es ganz aus dem Boden.
»Sieh einer an …!«, flüstert Michael. Meine Hand juckt, als ich sie tastend in die Dunkelheit unter dem Brett schiebe. Dann berühre ich einen trockenen, gummiartigen Stoff.
Der Beutel.
Als ich am Hals des Beutels ziehe, lösen sich zwei weitere Bodenbretter und geben den Blick frei auf einen olivfarbenen Seesack, der aussieht, als enthielte er nichts als alte Wäsche.
»Ich schätze, wir haben soeben bewiesen, dass es unterdrückte Erinnerungen gibt«, sage ich.
Statt blind mit der Hand im Beutel herumzutasten, schüttele ich den Inhalt vorsichtig auf dem Boden aus. Das Erste, was herausfällt, ist ein Magazin. Playboy. Er ist von 1970 und zeigt auf der Titelseite das Playmate des Jahres. Erleichterung durchflutet mich.
»Das muss es sein, was er sich in meinem Traum angesehen hat.«
»Was?«, fragt Michael. »Du hast nichts von einem Playboy- Magazinerzählt.«
»Es ist nichts. Es ist gut.«
»Warum?«
»Weil es normal ist.«
»Oh. Ich verstehe.«
Als Nächstes kommt ein Mini-Fotoalbum für Schnappschüsse zum Vorschein, und meine Kehle schnürt sich ein wenig zu. Dann das Skizzenbuch, von dem Louise Butler mir erzählt hat. Schließlich ein kleiner Stapel von Umschlägen, die mit einem gelben Band zusammengebunden sind, gefolgt von einem Stapel Karten, teilweise laminiert. Der oberste Umschlag in der Serie ist adressiert an Luke Ferry, und der Absender lautet Malmaison. Der Stempel auf der Briefmarke ist von 1969. Der Beutel fühlt sich jetzt leer an, doch als ich ihn kräftig schüttele, fällt ein langes Halsband heraus, ein Draht, auf den vertrocknete Pflaumen aufgespießt sind wie auf eine Perlenschnur. Außerdem ein wappenförmiges Stück Stoff, das einen aufgestickten Adlerkopf und ein Gewehr mit einem Zielfernrohr zeigt mit dem Wort sniper darüber.
»Die 101. Fallschirmjägerdivision«, sagt Michael.
»Was?«
»Der Adler. Die Screaming Eagles, so nannten sie die Hunderterste. Ich kenne dieses Abzeichen aus der Mini-Serie Band of Brothers. Es war andauernd zu sehen. War dein Vater bei der Hundertersten?«
»Ja. Hab ich erst vor kurzem rausgefunden.«
Michael blättert den Playboy durch, während ich den Stapel Briefe untersuche. Die meisten davon sind von meiner Mutter an meinen Vater, einige abgestempelt in Natchez, doch die meisten vom Post Office der Ole Miss, der University of Mississippi. Meine Mutter hat dort studiert, während mein Vater bei der Army war, doch sie schaffte nicht einmal ein ganzes Jahr, bevor er verwundet wurde.
»Gefällt dir, was du siehst?«, frage ich Michael, der
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