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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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einen weiteren Schluck von seiner Diät-Cola. »Worauf ich hinauswill: Luke stand schon unter großem Stress, noch bevor er in die White Tigers gepresst wurde. Und in seiner neuen Einheit wurde es verdammt schnell noch verdammt viel schlimmer.
    Die Tigers waren im Prinzip nichts anderes als eine Terroreinheit, die nach Kambodscha geschickt wurde, um nordvietnamesische Einheiten zu piesacken und zu erledigen, die sich auf neutralem Gebiet versteckt hielten. Es waren verdeckte Operationen hinter den feindlichen Linien, unter dem Befehl von Offizieren, die die Regeln des organisierten Krieges abgelegt hatten. Sie nahmen nur selten Gefangene. Wenn sie es taten, dann nur, um sie zu foltern. Vergewaltigung wurde als Einschüchterungstaktik gegen die einheimische Bevölkerung und zugleich als Belohnung für die eigenen Truppen eingesetzt.
    Als Luke gegen Akte von extremer Grausamkeit protestierte, wurde er von seinen Kameraden lächerlich gemacht, und seine Vorgesetzten betrachteten ihn mit Misstrauen. Schnell musste er am eigenen Leib erfahren, dass er genauso tot enden würde wie alle anderen, die mit den White Tigers in Kontakt kamen, falls er sich weigerte, sich der Befehlsgewalt seiner Vorgesetzten zu beugen …«
    Während Dr. Cage eine Pause einlegt, um nachzudenken, krame ich in Daddys Seesack, bis ich die Kette mit den »getrockneten Pflaumen« gefunden habe. Ich kämpfe gegen meinen heftigen Widerwillen an, während ich dem Arzt die Kette hinhalte.
    »Wissen Sie, was das ist?«
    Dr. Cage nimmt mir die Kette aus der Hand und legt sie aufseinen Schreibtisch. Mit einem Vergrößerungsglas, das er aus der Tasche zieht, untersucht er einen der geschwärzten Klumpen.
    »Ohren«, sagt er dann.
    »Was?«, fragt Michael.
    Dr. Cage blickt von der Kette auf. »Es ist ein Ohren-Halsband. Hab noch nie eins mit eigenen Augen gesehen. Woher haben Sie es?«
    »Daddy hat es in einem Seesack versteckt, zusammen mit anderen Sachen.«
    »Es ist eine Kriegstrophäe. Einige Soldaten in Vietnam haben die Ohren ihrer getöteten Opfer abgeschnitten und auf eine Schnur gezogen, ganz ähnlich früher den Skalps der Indianer.«
    »Ich habe davon gehört«, sagt Michael. »Ich dachte nie, dass es tatsächlich so etwas gegeben haben könnte, bis …«
    Dr. Cage zuckt die Schultern. »Sie haben es nicht nur mit Ohren gemacht. Auch mit Vorhäuten. Das ist nichts Neues. Das hat man schon während der Kreuzzüge gemacht. Krieg war immer etwas Barbarisches, nur die Werkzeuge haben sich seit damals geändert.«
    Es fällt mir schwer, mir den Vater, den ich gekannt habe, in der Welt vorzustellen, die Dr. Cage da beschreibt. »Also hat mein Vater seinen Opfern die Ohren abgeschnitten?«
    » Opfer ist nicht der passende Ausdruck im Krieg«, entgegnet Dr. Cage, »auch wenn er in Fällen wie diesem durchaus treffend sein mag. Doch es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass Luke Ferry sich dazu herabgelassen haben soll, seine Gegner zu verstümmeln. Außerdem sind an diesem Halsband nicht mehr als zwanzig Ohren, und Luke hatte allein als Scharfschütze sechsunddreißig bestätigte Abschüsse. Wahrscheinlich hat er noch viel mehr Gegner getötet, ohne dass ein Spotter in der Nähe war, der es offiziell gemacht hätte. Nein, ich wäre wirklich sehr überrascht, wenn dieses Ohren-Halsband Luke gehört hat.«
    »Warum?«, fragt Michael. »Angesichts all dessen, was Sie uns erzählt haben?«
    »Weil Luke sein Leben riskiert hat, um die Männer, die diese Art von Verbrechen begangen haben, vor ein Kriegsgericht zu bringen. Sobald er aus Kambodscha zurück nach Vietnam kam, berichtete er über den Kopf seines kommandierenden Offiziers hinweg den vorgesetzten Stellen, was er beobachtet hatte. Und die vorgesetzten Stellen taten das, was sie in solchen Fällen immer tun, wenn jemand die Befehlskette missachtet. Innerhalb einer Woche war Luke wieder mit den White Tigers im Einsatz. Und dabei wurde er verwundet – nach Lukes Worten von seinen eigenen Kameraden. Es ist ein Wunder, dass er lebend von einem Medevac-Chopper aufgenommen wurde. Er hat mir erzählt, dass er sein Leben nur einem einzigen Mann verdankt und dass seine Kameraden ihn in einem Reisfeld zurückgelassen hätten, um dort zu verbluten.«
    »Was ist danach mit ihm passiert?«
    »Er war nie wieder der Alte. Die Dinge, die er beobachtet hatte, waren mehr, als er ertragen konnte. Als er erfuhr, dass sie ihn erneut zu den Tigers schicken wollten, drehte er durch. Er brüllte alles hinaus, was er bei

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