Bisswunden
dieser Einheit mitgemacht und gesehen hatte, und bevor er sich’s versah, wurde er aus der Army entlassen. Er bekam keinen Idiotenschein, aber es lief auf das Gleiche hinaus. Sein posttraumatisches Stresssyndrom brach aus, noch bevor er zurück in den Staaten war. Ich könnte Ihnen mehr darüber erzählen, aber irgendetwas sagt mir, dass es nicht der Grund ist, aus dem Sie hergekommen sind.«
Michael hatte Recht: Dr. Cage ist ein sehr scharfsinniger Mann.
»Schieß los«, muntert Michael mich auf. »Erzähl es ihm.«
»Was wissen Sie über sexuellen Missbrauch im Kindesalter?«, frage ich.
Dr. Cage sieht mich überrascht an. »Ich habe einigen erlebt in meiner Zeit als Arzt. Ich habe seit Jahren keine Kinder mehr behandelt, doch am Anfang war das anders. Ich habejeden behandelt, der durch meine Tür spaziert kam.« Er nimmt einen Schluck Diät-Cola und blickt zu seinen Bücherregalen. »Ich fürchte, dass ich viel mehr sexuellen Missbrauch gesehen habe, als mir damals bewusst war. Dass ich einigen Kindern hätte helfen können, wenn ich nur mehr Courage gehabt hätte – oder die Augen weiter geöffnet hätte, um zu sehen.«
»Warum mehr Courage?«, frage ich.
»Ich denke, wir sehen nur das, was wir sehen wollen. Oder vielleicht das, was wir uns leisten können zu sehen. Als ich in Natchez zu praktizieren begann, gab es noch keine Einrichtungen zum Schutz für Kinder, wie etwa die Child Protective Services. Und in der damaligen Zeit hatten die Männer praktisch die absolute Kontrolle über ihre Familien.« Dr. Cages Augen sind auf irgendeine Stelle gerichtet, die nur er sehen kann. Es ist fast, als wäre er allein im Raum und spräche zu sich selbst. Ich will mich gerade räuspern, als er aus seiner Trance hochschreckt und mich ansieht. »Ich dachte an ein paar bestimmte Fälle. Ganz bestimmte Kinder. Doch das ist lange her. Ich hoffe, es ist trotzdem etwas Anständiges aus ihnen geworden.«
Ein unbehagliches Schweigen breitet sich aus, das anscheinend keiner von uns als Erster durchbrechen möchte. Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass ich diesem Mann vertrauen kann. Ich schiebe die Hand in den Seesack und nehme die drei Polaroidfotos hervor, um sie ihm über den Schreibtisch zu schieben. »Das hier habe ich zusammen mit den anderen Sachen in dem Beutel gefunden, den Daddy versteckt hat.«
Dr. Cage wirft einen langen Blick auf jedes der Bilder, bevor er mich wieder ansieht. »Was hat das alles wirklich zu bedeuten, Cat? Was versuchen Sie herauszufinden?«
»Es wäre möglich, dass mein Vater mich als kleines Mädchen missbraucht hat.«
»Haben Sie irgendeinen Grund über diese drei Bilder hinaus, der Sie auf diesen Gedanken bringt?«
»Ja.«
»Das tut mir Leid.« Er mustert erneut die Bilder. »Diese Fotos sehen nach verdammenden Beweisen aus, ich weiß. Doch für sich allein genommen bedeuten sie nicht mehr als das Ohren-Halsband. Der bloße Besitz dieser Gegenstände erscheint wie der Beweis für Perversion, doch Sie kennen die Umstände nicht, die Ihren Vater in den Besitz dieser Dinge haben gelangen lassen.«
»Warum sollte er sie verstecken, wenn es nichts gab, dessen er sich schämen musste?«
Dr. Cage zuckt die Schultern. »Das werden wir vielleicht niemals erfahren. Haben Sie alle Dinge in diesem Seesack angesehen?«
»Alles, bis auf das hier«, antworte ich und halte das Skizzenbuch hoch.
»Warum haben Sie es ausgelassen?«
»Ich weiß es nicht.« Ein Bild von Louise Butler erscheint vor meinem geistigen Auge. »Irgendjemand hat mir bereits erzählt, was in diesem Buch steht. Zeichnungen von DeSalle Island und dergleichen.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich einen Blick hineinwerfe?«
Ich reiche ihm das Buch über den Schreibtisch hinweg, und er blättert die Seiten durch.
»Sieht so aus, als hätten Sie zur Hälfte Recht. Hier sind ein paar Zeichnungen von einer schwarzen Frau … und ein paar Gedichte. Eine Wildblume zwischen zwei Löschblättern. Warten Sie … sehen Sie sich das hier an.«
»Was?«
»Es ist eine getippte Botschaft auf einem einzelnen Blatt Papier. Oh ja, hören Sie sich das an: ›Private Ferry, uns ist zu Ohren gekommen, dass du angefangen hast, über die Zeit zu plaudern, die du westlich vom Mekong gewesen bist. Wir dachten eigentlich, du hättest ’69 deine Lektion gelernt. Aber da dem offensichtlich nicht so ist, hier eine kleine Gedächtnisstütze von deinen alten Freunden, die die Tigerstreifen getragenhaben. Plaudere nur weiter, und
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