Bisswunden
deine Ohren werden an einem dieser Bänder enden. Vielleicht starten wir auch eine nächtliche Aktion gegen dein süßes kleines Mädchen. Erinnerst du dich noch, wie es war? Du hast einen Eid geschworen, Soldat. Vergiss ihn niemals.‹«
Dr. Cage legt das Skizzenbuch auf seinen Schreibtisch. »Nun, da hätten Sie zumindest schon eine Antwort. Wie Luke an das Ohren-Halsband gekommen ist.«
»Sie haben ihn bedroht«, sage ich leise. »Sie haben tatsächlich gedroht, ihn zu töten …«
»Luke war ein halsstarriger Junge«, sagt Dr. Cage leise. »Er hat nach dem Krieg mehrmals versucht, eine Untersuchung anzuleiern. Er machte einige Fortschritte, doch es kam nie wirklich etwas dabei heraus. Ich wäre nicht überrascht, wenn sich herausstellt, dass der Eindringling, der Luke auf Malmaison ermordet hat, von den Männern geschickt wurde, die ihm diesen Brief geschrieben haben.«
Ich wünschte, das wäre es, denke ich.
Dr. Cage beobachtet mich schweigend. »Ich kann sehen, dass hinter alledem noch mehr steckt, als Sie mir bis jetzt verraten haben. Vielleicht sogar eine ganze Menge mehr. Ich hoffe nur, ich konnte Ihnen ein klein wenig helfen.«
Obwohl es wirklich nichts mehr gibt, das er tun könnte, um mir weiterzuhelfen, will ich ihm mehr erzählen. Seine Meinung ist mir plötzlich wichtig. »Wenn ich Sie fragen würde, ob Sie es für möglich halten, dass mein Vater mich sexuell missbraucht hat – was würden Sie sagen?«
Eine tiefe Traurigkeit blickt aus seinen Augen, als er mich ansieht. »Ich würde gerne Nein sagen. Wirklich sehr gerne. Aber ich bin ein zu alter Hund, bei einem derartigen Thema irgendetwas mit Bestimmtheit zu sagen. Der menschliche Sexualtrieb ist etwas sehr Mächtiges. Er bestimmt unser Verhalten mehr, als uns lieb ist, häufig, ohne dass es uns bewusst wird. Freud hat sein ganzes Leben dem Versuch gewidmet, ihn zu verstehen, und er hat es nicht annähernd geschafft. Luke Ferrywar ein guter Junge, doch was er in der Dunkelheit der Nacht getrieben hat – oder warum –, kann ich nicht annähernd abschätzen. Was auch immer er getan hat, es hat wahrscheinlich mehr als alles andere damit zu tun, was ihm selbst als Kind widerfahren ist. Und davon weiß ich nichts.«
»Sie sagten, Sie hätten seine Eltern behandelt?«
Dr. Cage dreht die Handflächen nach oben. »Sie waren gute Leute, aber sie starben jung. Ich hielt nicht viel von dem Onkel, der Luke bei sich aufnahm. Er war ein Redneck-Großmaul, der die meiste Zeit damit verbrachte, sich Behindertenunterstützung von der Sozialhilfe zu erschleichen, auf die er keinen Anspruch hatte. Doch das macht ihn noch lange nicht zu einem Sexualtriebtäter. Er ist längst tot. Lungenkrebs.«
Ich packe die Sachen meines Vaters in den grünen Seesack zurück. »Wenn ich Ihnen die gleiche Frage über meinen Großvater stellen würde«, sage ich, »wenn ich Sie frage, ob Sie glauben, dass er mich missbraucht haben könnte – was würden Sie sagen?«
Dr. Cages Blick bohrt sich neugierig in meinen. »Ich würde Ihnen die gleiche Antwort geben wie bei Luke, Catherine. Niemand von uns kennt einen anderen Menschen wirklich, und wenn es um Sex geht, ist alles möglich.«
Als ich schweige, fügt Dr. Cage hinzu: »Sie blicken da in einen tiefen, tiefen Abgrund hinunter, Catherine. Einen Abgrund, der noch viel tiefer ist, als ich angenommen habe, als ich durch diese Tür gekommen bin.« Er wirft einen Blick zu Michael. »Aber wenigstens haben Sie einen guten Freund, der Ihnen dabei hilft.«
Er will weitersprechen, als die Tür neben der Couch von außen geöffnet wird und eine Sprechstundenhilfe hereinkommt. Das Gesicht des Arztes verfinstert sich. »Ich hatte gesagt, dass ich nicht gestört werden möchte.«
»Es tut mir Leid«, sagt die Sprechstundenhilfe, »aber Dale Thompson ist gerade mit seinem Motorrad hundert Meter weitüber den Asphalt gerutscht. Er blutet das ganze Wartezimmer voll.«
»Warum ist er nicht ins Krankenhaus gefahren?«
»Er sagt, Sie hätten ihn nach seinem letzten Unfall zusammengeflickt, und er möchte, dass Sie es auch diesmal wieder tun. Sieht aus, als hätte er alles in allem wenigstens hundert Stiche nötig.«
Dr. Cage schüttelt den Kopf. »Er braucht jemanden, der ihm ein wenig Verstand einbläut. Bringen Sie ihn ins Chirurgiezimmer. Ich komme gleich.«
Der Arzt erhebt sich von seinem Stuhl und kommt um den Schreibtisch herum. Er schüttelt mir die Hand. »Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein, Catherine. Ich mochte Ihren
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