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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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unschuldig, größtenteils. Gegen Ende des Sommers fingen wir an, uns hin und wieder zu berühren. Jedenfalls hat er mich berührt.«
    Sie nimmt einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee, und das Zittern in ihrer Hand ist so deutlich, dass ich befürchte, sie könnte den Becher fallen lassen. »Wir haben uns bei einer alten Scheune am Fluss getroffen. Niemand kam je dorthin. Doch eines Tages folgte uns ein Cousin von mir. Und er sah, wie Jesse mich anfasste.«
    »Der Name des Jungen war Jesse?« Das Bild eines Schwarzen ist plötzlich vor meinem geistigen Auge, eines Schwarzen, der durch vernarbte Lippen spricht. Ich habe Ihre Mutter ziemlich gut gekannt.
    »Ja.«
    »Jesse Billups?«
    Endlich sieht sie mich an. »Ja. Jesse war in mich verliebt.«
    »Mein Gott … Mom, ich habe mich erst vor kurzem mit Jesse Billups unterhalten.«
    »Wie sah er aus?«
    »Es ging ihm ganz gut, schätze ich. Er scheint eine Menge Wut in sich zu tragen.«
    »Das kann ich mir denken, nach dem, was im Krieg mit ihm passiert ist. Er war ein ziemlich attraktiver junger Mann, ob du es glaubst oder nicht. Ich habe für ihn getan, was ich konnte. Er hat heute den besten Job, den es auf der Insel gibt.«
    O Gott. »Das heißt nicht viel, oder?«
    Sie zuckt die Schultern, als würde es keine Rolle spielen. »An dem Tag, an dem mein Cousin uns beobachtete, erzählte er es seinem Vater. Und sein Vater erzählte es meinem Vater.«
    Ein kaltes Frösteln steigt in mir auf. »Was ist dann passiert?«
    »Daddy ging noch am gleichen Abend runter zum Haus von Jesses Eltern, zerrte Jesse aus dem Haus und schlug ihn halb tot.«
    Ich kann mich an jedes von Jesse Billups’ Worten erinnern. Dr. Kirkland hat mich einmal verprügelt, als ich ein Junge war. Mächtig verprügelt. Allerdings hätte ich an seiner Stelle wahrscheinlich das Gleiche getan, und deswegen sind wir quitt, schätze ich …
    Tränen rinnen über das Gesicht meiner Mutter. Ich nehme ein Papiertuch vom Tresen und reiche es ihr.
    »Mom?«
    Sie lacht merkwürdig, mit einem Unterton von Hysterie. »Ich dachte, Daddy hätte es getan, weil Jesse ein Schwarzer war. Verstehst du? Und ich fühlte mich hinterher todunglücklich. Ich war genau wie du. Ich wollte nicht reden. Und Daddy wurde immer wütender auf mich. Schließlich wollte er wissen, warum ich nicht mehr reden wollte.«
    »Was hast du ihm gesagt?«
    »Dass er Jesse verprügelt hätte, als wäre ich vergewaltigt worden oder so. Aber in Wirklichkeit hatte ich gewollt, dass Jesse mich anfasst.«
    Ich versuche mir Großvater vorzustellen, als er 1969 diese Worte aus dem Mund seiner Tochter hört. »Was ist dann passiert?«
    »Daddy wurde weiß im Gesicht. Wir wohnten in einer Suite im Peabody in Memphis, als es passierte. Er riss mich aus dem Sessel und zerrte mich in das Schlafzimmer meiner Eltern. Dann streifte er seinen Gürtel ab und schlug mich damit, bis ich blutete. Er wollte überhaupt nicht mehr aufhören …«
    »Was hat Großmutter gemacht?«
    Mom schüttelt den Kopf, als würde sie sich diese Frage ebenfalls stellen. »Ich weiß es nicht. Sie ist verschwunden.«
    Genauso, wie du immer verschwunden bist, als ich ein kleines Mädchen war, wenn Großvater wütend wurde …
    »Die Sache«, fährt Mutter fort, »die ich vergessen hatte und die mir erst in meinem Traum gestern Nacht wieder eingefallen ist … Er hat mich nackt ausgezogen, bevor er mich geschlagen hat. Er hat mich ausgezogen! Mein eigener Vater hat mich aufs Bett geworfen und mir die Kleider heruntergerissen. Und während er mich verprügelt hat, brüllte er auf mich ein. Schlimme Worte. Er nannte mich eine Nutte … eine dreckige Hure. Ich wusste damals nicht mal, was diese Worte bedeuten. Doch am schlimmsten war sein Gesicht. Seine Augen.«
    »Was war mit seinen Augen?«
    »Es war nicht allein Wut, die ich in seinen Augen sah, Catherine.«
    Ein Ansturm Furcht erregender Bilder zuckt durch meinen Verstand. Wilde, vor Wut besinnungslose Augen und ein grausamer Mund. »Was hast du gesehen?«
    Mom schließt die Augen und schüttelt den Kopf wie eine primitive Eingeborene, die sich davor fürchtet, einen Dämonen zu benennen. Sie weiß Bescheid, durchfährt es mich. Mehr als das, sie weiß, dass sie es weiß …
    »Erinnerst du dich daran, dass Großvater dich angefasst hat?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Aber du hast Recht mit dem, was du über meine Probleme gesagt hast. Es gibt Dinge, die kann ich einfach nicht tun. Ich war so eine Enttäuschung für deinen Vater.

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